Voller Abenteuertag mit alternativer Nacht
- Thomas Hopfgartner
- 21. Juni 2021
- 12 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Juli 2021
Gestern war ein ereignisreicher Tag.
Zuerst bin ich in meinem neuen Käfig erwacht, ein kleines Zimmerchen, sogar noch ein Bad hineingequetscht in die Räumlichkeit. Manchmal denkt man alles für Lilliputaner, aber viele Menschen des Planeten leben und hausen mit so wenig Platz, das kann man sich nur vorstellen, wenn man's sieht. Und ich hab's schon des öfteren gesehen, auch teils miterlebt. Ich schüttle immer wieder den Kopf wenn ich so beengte und manchmal auch dreckigste Plätze sehe, oder darüber stolpere. Das heißt ich reg mich hier auf, worüber es rein gar nichts zu meckern gibt.
Was jetzt hinzukommt hier ist Regenzeit, und nachts wird's dann doch so kühl, dass man frühmorgens diese Polyacrylkunststoffdecken gerne noch einmal um die Beine oder Schultern schlägt. Sie geben irgendwie warm, obwohl die Natürlichkeit fehlt, kein guter Griff sagt man textilisch dazu.
Wenn ich dann aber Tageslicht ergattere und solche Gefängnisse verlasse, dann erst kann ich aufblühen. Die Bootsfahrt quer über den See ist für mich immer wieder ein neues Erlebnis. Während ein Großteil der Kleinschiffsinsassen auf dem Handy irgendetwas sucht was sie unterhält, hab ich dieses Ding zwar auch griffbereit, benutze es aber hier ausschließlich als Kamera. Egal wie oft ich in so einer Kunststoffkiste über den See gleite, jedes Mal wieder bin ich fasziniert. Eigentlich war es meine Idee in San Juan auszusteigen, diese Fuhre ließ aber diesen Stopp aus, so wurde es wieder der Ankunftssteg in San Pedro. Endlich gelangen mir bei der Landung ein paar idyllische Fotos des Ortskerns vom Wasser aus. Vorhergehende wurden allesamt von meinem neuen Handy nicht gespeichert.

Anfahrt auf San Pedro, Motor ist bereits abgestellt
Bald schlenderte ich an Strandcafes vorbei, das eine einladender als das andere, bis ich Frauen am Wasser waschen sah. Ein sehr übliches Bild hier am See, dass die Frauen Eimer von Kleidern an das Wasser schleppen und dann stundenlang Bekleidung schrubben, ausbürsten, auswringen und versuchen wieder sauber zu bringen. Anstrengende Handarbeit.
Auf einem nigelnagelneuen Betonfahrbahnpflaster gelangte ich über die deshalb teils gesperrte Hauptstraße ins Nachbardorf San Juan. An jeder verdächtigen Ecke sind diese schwarz-neongelben Polizeibeamten postiert, die versuchen mit ihrer schrillen Pfeife vor allem die Tuktuk Fahrer unter Kontrolle zu halten, was aber eben so wenig gelingt, wie sinnvoll ist, denn das erledigt sich alles von alleine. Den Fußgänger, wie ich es allermeistens einer bin, stört das nicht, außer das Verkehrsgeschehen wird zu gefährlich für den leicht verletzlichen Passanten. Die motorisierten Verkehrsteilnehmer fahren hier sehr dicht an Menschen vorbei, das ist oft kein gutes Gefühl. In Mexiko fühlte ich mich diesbezüglich wohler.
Die Ausblicke einerseits auf den Ortskern von San Pedro, andererseits auf die Indian Nose hoch über San Juan sind an diesem späteren Morgen atemberaubend. Den Hochlandsee der in einem Riesenkrater entstehen konnte umkranzen Dörfer, die nach den 12 Aposteln von Jesus aus Nazareth benannt wurden. Die christliche Religion hat sich im Land der Mayas vollständig durchgesetzt, obschon auch heute noch an Mayazeremonien festgehalten wird. Bei der Verbreitung des christlichen Glaubens haben die Spanier in Lateinamerika ganze Arbeit geleistet, einen ganzen Kontinent unterworfen, mit Gewalt.
Als ich dann begann durch San Juan zu spazieren war ich zu allererst auf der Suche nach 1-2 Bananen, denn mein Magen meldete sich. Nebenbei fielen mir mehrere Geschäfte mit handgearbeiteten Stoffen, Kleidern und gewebten Materialien auf. In einer Gasse gab es warme Küche und ich spekulierte schon eine Portion Reis zu betteln, es war mir aber doch zu früh dafür. Ich entdeckte einfach den Markt des Dorfes nicht, obwohl ich Früchte und Gemüse sah, aber genau Bananen stachen mir nirgends ins Auge. Kam so das halbe Dorf ab, wurde aber erst nach Mittag meiner süßen Bananen fündig. Schon seit Betreten des Dorfes war ich einigermaßen erstaunt über die große, teils sogar sterile Sauberkeit im Ort. Nach einem Besuch des Nachbardorfes San Pablo war das eine Weltenänderung, und das bei direkt benachbarten Kommunen.
So ähnlich mag es vielleicht bei den Aposteln Jesu gewesen sein. Obwohl sie viel miteinander durchlebten und gleichsam Nachbarn waren, war wohl jeder einzelne sehr individuell und von eigenem Charakter. Diese hauptsächlich Fischer von damals hätten heute hier an diesem See sicher auch gewusst wie sie sich am Leben halten. Vielleicht hätte wirklich jeder von ihnen ein eigenes Dorf gegründet und nach seinem Namen benannt?!
San Juan ist also, wie man neudeutsch sagt, ein Hotspot für guatemaltekische, farbenfrohe Handarbeit die hauptsächlich die Frauen stemmen. Sie haben sich in verschiedenen Vereinen und Kooperationen zusammengetan und verkaufen im Ortszentrum ihre Produkte deren Wert man in der heutigen schnelllebigen Gesellschaft nicht hoch genug einschätzen kann. Die Qualität, die guten, lokal angepflanzten Materialien die sogar naturgfärbt werden sind ein Segen und binden uns mit unserer Natur ein und zurück in sie.

Baumwolle in weiß, etwas softer. In braun links. Beides fühlt sich wunderbar in der Hand und auf der Haut an. Hinter der braunen Baumwolle ein Steinmörser zum Zerwalzen von Pflanzensamen woraus Farbpulver wird.
Baumwolle, weißliche und bräunliche wird zu Garn gesponnen. Gefärbt werden die Naturstoffe mit zerdrückten Samenpulver verschiedener Früchte des Landes. Aber auch etwa aus Roten Beeten, Karotten oder Bananenpflanzen werden Naturfarben hergestellt. Man kann sich vorstellen, dass sich diese Materialien wunderbar am Körper tragen.
Ich durfte mit einer Frau sprechen die gerade ein wundervoll um den Kragen besticktes Oberteil bearbeitete. Sie sprach mich etwas überraschend an, auf Englisch, und wollte wissen woher ich käme. Es hörte sich nach Neugier und gleichzeitig versuchtem Sprachpraktikum an. Ich antwortete. Sie fragte weiter wie mir das Klima hier gerade behage und mehr. Nebenbei prüfte ich kleine Täschchen mit Reißverschluss, denn ich suche schon seit 2-3 Wochen zum einen nach einer Hülle für mein neues Montagshandy, es ist nämlich nagelneu und funktioniert denkbar schlecht. Zum anderen hab ich mir eingebildet, ich müsse meinen bunten, kleinen Kulturbeutel ersetzen, den ich vor fünf Jahren in Kolumbien erstand.
Ich erzählte der sympathischen Einheimischen, dass ich diese handgearbeiteten Waren sehr schätze, worauf sie zustimmte und meinte. Dieses Teil, das ich gerade in Arbeit habe ist eine Bluse für meine Tochter. Sie soll sie ihr ganzes Leben lang tragen. Als ich diese Worte vernahm und gleichzeitig versuchte zu überdenken, schauderte es mir. 'Ein ganzes Leben lang' ein Kleidungsstück tragen, und dann vielleicht noch der eigenen Tochter weitervererben, also dem Enkelkind, das hört sich in der heutigen Modefetzen Wegwerfgesellschaft außerirdisch, arg außergewöhnlich, beinahe exotisch an.
Natürlich kenne ich diese Aussagen von meiner Mutter her, die inzwischen 85 Jahre jung ist. Und sie sprach nicht nur vor vielen Jahren davon, nein, sie trägt auch heute noch die hochqualitative, handgemachte Tracht aus Schafwolle zu den festlichsten Anlässen des Jahres. Sie hat sie vor etwa 60 Jahren selbst gemacht. Bei Gewichtsänderungen immer einmal wieder leicht angepasst, selbst versteht sich.

Drei Generationen im Bild. Eine vertraute Szene hier. Auch, dass die Alten arbeiten bis zum Tod, soferne sie können, besonders die Frauen.
Am Steg von San Juan steigt eine Mutter mit ihrem Baby im Arm in ein Boot. Schon parkt es rückwärts aus, dreht und vorwärts geht's in Richtung Südwesten, Kurs auf San Pablo.
Ich schrieb 'Kind m Arm'. Gesehen hab ich es nicht, es war eine hellgebe Decke die etwas umschlang. Man kennt das wie man Babies eben beschützend einpackt und trägt wie rohe Eier, vorsichtigst, jeden Schritt achtsam setzend.
Nachdem ich mich nachher noch am Steg mit einer dicken, dunklen Amerikanerin unterhielt, die zu lange auf ein Boot nach San Marcos warten sollte, wollte ich zu einer nahen Aussichtskanzel hinter dem Dorf hinauf, unterhalb der Indian Nose. Allerdings schreckte mich Eintritt dafür ab und ich entchloss zurück nach San Pedro zu wandern. Wieder hatte ich die neue, helle, frische Betonfahrbahn unter meinen Füßen, auch der dazupassende Geruch begleitete mich.
Im Ortszentrum kaufte ich frisches Gebäck von einer Straßenverkäuferin, die ihre vielleicht etwa fünf großen Körbe ständig mit Tüchern und Plastik bedeckt hielt, so dass es schwer war wirklich richtig zu sehen was sie anbot. Späterer Nachmittag war schon vorher in Mexiko die Zeit, wenn die Bäcker frische Ware anboten, nicht der frühe Morgen. Freundlich bedankte sie sich für 3 Quetzales und ich trottete zu dem Terassencafe das ich bereits kannte um dort im Parterre einen Capucchino zu bestellen. Ich hatte etwas Heißhunger aufkommen lassen und verdrückte Mehlspeisen und Milchkaffee hoch oben auf der Dachterrasse ungewöhnlich und ungesund schnell. Ich war heilfroh um die gebackenen Happen und ein paar Schluck Kaffee.

Der Schluck Schaumkaffee und das Süße waren bald verzehrt vor lauter Heißhunger
Als ich aufschaute erblickte ich bedrohlich grau-schwärzliche Wolken den Hausberg hinter uns eindecken. Nicht nur das, man erkannte auch schon Regenschneisen darin. Man konnte jetzt noch nicht abschätzen ob sich der Niederschlag herunter ins Dorf zieht und wenn, mit welcher Geschwindigkeit. Schließlich überraschte mich der Regen dann doch im Cafe und ich zog mich ins 1. Stockwerk zurück. Ich hatte bereits zuvor bezahlt, nur jetzt raus ins Nass zu stürzen machte keinen Sinn für mich. Deshalb hockte ich mich ins Parterre, denn dort war der beste Internetempfang. Ich wollte den Regen aussitzen.
Als es einfach nicht aufhörte zu plätschern machte ich mich trotzdem startklar, überzog auch meinem Rucksack die alte, orange Regenhülle von Vaude und nahm jetzt ein Tuktuk für die vielleicht nur 150 m hinunter durch das steil abfallende Gassenpflaster zum Bootssteg. Dort schoss das Regenwasser in einem wilden Rinnsal über die alten Pflastersteine in den See.
Die erste Information die mir ein junger Bursche gab war, es gäbe jetzt kein öffentliches Boot mehr nach Panajachel, nur mehr private. Diese werden teuer angeboten, im Endeffekt sind es die gleichen motorisierten Gefährte. Die gewitterartige Situation wurde von den Schiffscrews jetzt ausgenützt, um ihren Tagesprofit damt aufzubessern. Ich dachte mir nur, erst warte ich die Lage am Steg ab, meistens tut sich etwas. Wenn man in solchen Fällen auf Geduld und Zeit spielt ist man besser dran, als voreilig etwas zu entscheiden.
Mein Alternativplan im Kopf sagte mir, bleib in San Pedro heute über Nacht und fahr dann morgen erst nach Panajachel. Das fand ich erstens nicht unabenteurlich und zweitens beruhigte es. Ich musste diesen Plan nur mit dem wenigen Bargeld das ich bei mir führte bestreiten können, das ließ sich bei knapper Kalkulation machen.
Unterdessen kam eine junge Frau auf mich zu und erkundigte sich wohin ich wolle, sie wollte mit ihrem Freund nach San Marcos. Mir gefiel, dass sie den Bootsjungs mit ihrem Abzockplan nicht mitspielen wollte und nach Alternativen suchte.
Schlussendlich landeten wir in einem sehr vollen Boot. Die junge Frau hatte mich noch als Letzten ins Boot gedeutet und ich kam der Aufforderung ohne viel Überlegung nach. Ich dachte mir, das Boot ist voll, teuer wird es wohl nicht sein, alles Einheimische drin. Als ich dann innen sitzend bald mitbekam, dass es 'nur' nach San Pablo übersetzte, dachte ich mir, 'Auweia, Thomas, mit dieser Flucht verschlechterst du dir deine Ausgangslage, denn San Pablo hat gar keine Gästeunterkünfte anzubieten und San Marcos nur teure.
Neben diesem Gedankenkino in meinem Kopf tat mir aber der Freund der extravertierten, jungen Mexikanerin leid, ihm fröstelte bitterlich. Teils war er am Oberkörper nackt und versuchte immer wieder seine dünne, feuchte, schwarze Daunenjacke mit Kapuze so an den Leib zu bringen, dass er halt überlebte. In Abständen schlotterten seine Beine, dann wieder sein Oberkörper. Diese Körpersprache konnte seine coole Mimik nicht wettmachen. Dieser indigene Mann war aber immer noch zuvorkommend und bot mir zuerst sogar Sitzplatz und mehr an, was ich für völlig irre hielt, denn er war es, der litt. Ich war zu dem Zeitpunkt noch sehr trocken. Der Blitz schlug ein, es schüttete, ich dachte mir, wie sicher ist man eigentlich in einem Boot mitten auf dem See bei einem Gewitter wie diesem?
Das Gute am Lago Atitlan ist, dass ich seitdem ich hier bin beobachte, dass es selten höhere, schlagende Wellen gibt, wenn man von denen absieht die Nachbarboote verursachen. Das Heimelige und Beruhigende bei dieser Regengussüberfahrt war, ich bin nicht allein. Wenn ich mir dachte eine Brustweste überzuziehen die auf der Bootsdecke zur Genüge leblos hangen, konnte ich mir Überlebenschancen bei einem Kentern nur schwer vorstellen. Als wir den Steg von San Pablo erreichten, rückten alle hinaus in den Regen, wir zahlten und es schien, nun werde auch ich bald durchnass sein, denn das Dorf liegt einige hundert Meter weiter oben.
Wie sollte es aber anders sein, die rote Tuktukmafia wartete bereits um ihren Rattertransport anzubieten. Inzwischen waren die Mexikanerin, ihr frierender Partner aus Guatemala und ich spätestens zu vereinten drei Musketieren geworden die sofort das letzte Tuktuk bekamen. Aber nur weil etwa fünf Einheimische dieses räumen mussten, sie sprangen wie aufgescheuchte Hühner heraus, ich dachte mir, ich seh nicht richtig, das ist nicht fair.
Alles wohl nur deshalb, weil der Fahrer von uns dreien 5 Quetzales mehr erwartete, so knallhart ist das Geschäft hier. Wir tuckerten den steilen Hügel hinauf und ich fragte die zwei companeros wie sie in San Marcos wohnten. Sie meinten in einem günstigen Hostal. Ich fragte weiter, ob da noch ein Bett frei sein würde, sie meinten, sie glaubten schon. Das beruhigte mich einigermaßen, denn hier in San Pablo wüsste ich gar nicht wo zu suchen, und der heftige Regen noch dazu.
Das Ganze schreibe ich momentan hier in meinem Lieblingsrestaurant in Pana, jetzt 24 h später. Es hat auch jetzt wieder Dämmerung und Regen eingesetzt.
Unterhalb der Dorfkirche, wo bereits am Sonntag ein Fest ins Wasser fiel, wechselten wir Dreiradler, zahlten jeder 5 Quetzales und saßen sofort darauf in einem das weiterfuhr nach San Marcos. Ich kannte nicht nur den Weg bereits vom Sonntag, sondern auch den Preis des anstehenden Transports. Mittlerweile erzählte mir die Mexikanerin, dass sie vom Vulkantrekking kamen, erst spät los wären und dann gescheit in den Regen schlitterten. Außerdem berichtete sie von ihrem Autounfall den sie bei ihrer Ankunft am See hatte, wegen Bremsversagens des Vehikels, was jedoch alle Insassen glimpflich überstanden hätten.
Wir stiegen im Zentrum von San Marcos aus, zahlten und die beiden Durchfrorenen meinten, sie möchten jetzt zu ihrer kleinen Stammpizzeria gehen, denn die hätten wahrscheinlich Feuer angemacht. Sie stellten mir frei, mit mir auch gleich ins Hostal zu gehen, aber ich konnte mit der Pizzeria-Idee gut leben, obwohl mein restliches Tagesgeld dort keine Konsumation vorsehen konnte. Wir erreichten die kleine mit Holzbrettern ausgetafelte Essensstätte und als wir das Feuer des Ofens erblickten waren wohl alle drei von uns sehr froh.
Alte Couchsessel und ein Tischlein direkt vor dem Ofen wurden unser Platz für die kommende Zeit in diesem Laden. Elly, die Mexikanerin verschwand gleich mit ihrem Rucksack, sie hatten zu zweit nur einen dabei.
Währenddessen unterhielt ich mich mit Xavier vor dem Feuer. Ich teilte ihm umgehend mit, dass ich nichts konsumieren könne, weil ich zu knapp bei Kassa wäre. Ich musste ja wenigstens Geld für die Übernachtung und morgige Bootsfahrt zurück nach Pana schärfstens absichern. Er meinte, wie unter alten Freunden, kein Thema, ich soll bestellen, er lädt mich ein. Eigentlich sollte es genau umgekehrt sein, aber was sollte ich in meiner Situation machen?
Dieser Xavier stellte sich als unglaublicher Gentleman heraus, das hab ich schon lange nicht mehr erlebt. Irgendwann kam Elly wieder zurück aus der Umkleide und setzte sich als dann direkt vor, fast mitten ins Feuerholz, so froh war sie über Trockenheit und Wärme, ja in dem Fall Hitze.

Elly verbrennt sich ihre Füße fast am Ofen, wo eigentlich die Pizza hätte durchgebackener werden können.
Als der blutjunge einheimische Manager der Bude die Pizza auf die Kohlen legen wollte, musste er sich erst einmal an Elly vorbeischwindeln. Wir drei Gäste unterhielten uns ausgezeichnet, während die beiden durch die Bilder und Videos des Tages scrollten, auf ihren Smartphones. Es war perfekt, zwei Spansich-Muttersprachler, wobei die Mexikanerin recht gut Englisch sprach. Xavier verstand diese Weltsprache auch recht gut, er befindet sich beim Lernen, so wie ich beim Spanischen, das ergänzte sich. Ich hatte einen Milchkaffee bestellt, mir wurde ein große Schale heiße Milch serviert, die Wärme tat mir sehr gut, die Milch selbst meinem Magen gar nicht. Die zwei Pizzastücke die ich verzehren durfte waren nicht viel mehr als ein teigiges Gemisch aus Weißmehl und mäßigem Käse, also alles in allem ging das Ganze in Richtung Kaugummi.
Die beiden mittelamerikanischen Vulkanbezwinger würzten und dekorierten ihre Stücke mit allen möglichen Gewürzen und Saucen, wie es hier der Brauch ist. Beide waren begeistert von dem was ich als Pizza-Kaugummi bezeichnete. Für mich war das Nebensache, denn meine Tagesernährung war eh schon unorthodox gewesen, also wollte ich nur aufpassen, dass ich mir den Magen nicht verderbe. Im Zweifel ist Fasten die intelligentere Lösung.
Xavier lud uns und mich noch auf ein Bier ein, ich lehnte dankend ab, denn ein kaltes Blondes passte jetzt gar nicht auf die Speisefolge und die Umstände des abenteurlichen Tages. Der Gualtemalteke zeigte mir auch einige Fotos anderer Vulkane seines Heimatlandes die er bestiegen hatte. Acatenango, Fuego, Pacaya, was für mich als altem Bergsteiger und Naturkundler von großem Interesse war.
Wir unterhielten uns über modernes und traditionelles Leben, über die Frau heute, über Familienmuster, Digitalisierung, Medien und alternative Selbstversorgungsgemeinschaften. Meine zwei jungen Freunde waren erst seit zwei Tagen miteinander bekannt, doch sehr vertraut schienen sie und womöglich verknallt, zumindestens Xavier in Elly. Nicht sehr früh verließen wir den Pizzaspot, gewärmt, gestärkt, zufrieden.
Wir schlenderten zu ihrem Hostal, was eher einem Privathaus glich, oder soll ich besser sagen Privatgelände mit Autoreperaturplatz, Kleintierfarm und vielleicht auch noch Gästeunterkunft. Unübersichtlich, unordentlich, teils dreckig, aber die Mama herzlich und im Handumdrehen führte sie mich in einen Raum, der innen ok war, für Gäste zumutbar, würd' ich sagen. Sie meinte ich dürfe halt nicht die Tür von außen schließen, denn ihr Sohn hätte den Schlüssel verzamst. Ich zahlte umgehend und musste gleich wiederholte Male die Toilette benutzen, die innen auch sauber war, Gott sei Dank! Von einer ihrer Töchter bekam ich noch den WiFi Code und sogar Internet funktionierte tadellos. Das 'Zimmer' der Kinder das ich dabei aufsuchte, kann ich gerade nicht beschreiben, allein der Geruch war herausfordernd genug.
Erst nach Mitternacht schlief ich irgendwann ein, denn ich machte mir noch sehr viele Gedanken und Überlegungen zu einer Jobstelle in Indien, Mumbai, die gerade aktuell war.
Xavier und Elly schliefen nebenbei, zuerst glaubte ich in einem Zimmer, am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass es doch getrennte Räume sein mussten.
Die geniale Stille im Dorf wurde nur unterbrochen von Hundegebell, wie ich es etwa von Mazunte, Puerto Escondido oder Akumal her kannte. Trotzdem, meine Nacht war eine gute.
Auch der Morgen, ich umblickte meinen Raum, an zwei Wänden Bildnisse einer Künstlerin die sich 2020 hier verewigte. Ich packte meinen kleinen Rucksack und floh aus meinem Übernachtasyl. Zwei Tortillas von der heißen Platte machten meinen Morgenmund munter. Diese klassichen Tortillascheiben haben nicht mehr als 10 cm im Durchmesser und sind eben relativ dünn, vier Stück gibt's normalerweise für 1 Quetzal, das sind 10 Eurocent.
Dieses Tortillageschäft ist vielleicht die alltäglichste und prägendste Tätigkeit in Mittelamerika über den ganzen Tag hin, immer von einem Frauenteam gemacht. Man hört ein in die Hände klatschen und bald danach wenn man nah genug am Geschehen dran ist, riecht es absolut charakteristisch und gut nach Mais. Inzwischen magisch anziehend für mich. Meistens wird weißes Maismehl verwendet, ab und zu sieht man aber auch bläulich-bräunliches. Die Tortillas haben dann im Aussehen Ähnlichkeit mit Schwarzbeerschmarren aus Tirol.
Wenn ich jetzt noch zwei Bananen bekäme, wäre mein Notfrühstück absolut ausreichend, vorerst. Das war dann auch möglich, so machte ich mich auf den Weg zum Bootssteg.
Ich hatte noch knapp genug Geld dabei für die Fahrt nach Panajachel, meinem Zuhause. Weshalb aber eilen, so schlecht war das Wetter ja gerade nicht und ich setzte mich auf meinen Lieblingssteg und ließ die Ereignisse des vergangenen Tages Revue passieren.
Eines der klassischen Bilder vom Lago Atitlan mit einem der vielen Holzstege, 'muelles' genannt.
留言