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Auf der Seebank alles vergessen


Endlich ruhen meine Glieder auf einer Parkbank vor dem Seeufer. Mein Körper ist nach relativ kurzer Gehzeit total erschöpft, weil Blasen an meinen Füßen jeden Schritt schmerzen lassen. Das erste, raus aus den Schuhen. Bald das zweite danach, Notizbuch raus aus meinem Rucksack.


Heimischer Fischer in seinem 'Kuku', Einbaumkanu. Er hantiert mit seinem Fischkäfig. Fortbewegung schafft er mit einem einfachen Holzruder.


Von der Uferbank aus


Zwei Mädchen, Teens, schieben ihren altgedienten Verkaufstrolley über den Schotterweg des Seeufers in Richtung Leuteansammlungen. Es ist Samstag am See. Ein etwas anderes Treiben als unter der Woche.

Ich war gerade am Markt in Panajachel. Gehe dorthin nicht so gerne, weil er einfach nur chaotisch ist und sonderbar ungegliedert zwischen Straßenverkehr und unübersichtlichen Baracken. Gerne aber besuche ich die Panaderia Jose, glaub ich, nennt sie sich offiziell. Kaufe dort immer diese großen, flachen, mittelbraunen, crossen Kekssmileys, die sind lecker und gleichzeitig günstig, selbstgebacken und unverpackt. Außerdem verkaufen sie zwei Frauen mit sehr angenehmer Art.


Dasselbe auch in der Casa Cakquichel, wo ich immer meine große Schale Kaffee trinke, meistens abends, ganz allein dort als Gast. Und beides, die Kekspanaderia und das Kaffeehotelchen besuche ich seit dem ganz ersten Tag an dem ich hier ankam, vor zwei Wochen.


Am meisten beeindrucken mich hier die Fischer mit ihren Einbaumkanus. Ich hab schon einige dieser Behelfsmittel gesehen, aber diese hier im Hochland von Guatemala haben einen genaz besonderen Charme.

Erstens siehst du noch den Baumstumpf aus dem sie geschnitzt sind, zweitens sind sie vorne zugespitzt wie ein Pfeil. Eine einfache Holzschaufel dient den Fischjägern als Ruder zur gezielten Fortbewegung. So schwabt das Einmannboot im Wasser und der Mann verrichtet seine oftmals eingeübten Handgriffe rund um sein Netz. Der Plastikmüll an der Wasseroberfläche stört den Fischer kaum, vielleicht dann, wenn er ihn im Netz hat.


Ein junger Mountainbiker rollt hinter mir durch, mit seinem sehr neuen Rad. Brav sitzt sein Maulkorb im Gesicht, so wie er im Sattel. Diese neue Gesichtsunerkennungsmerkmal stört die Leute hier inzwischen gar nicht mehr. Sie haben es verordnet bekommen und tun unter Angst und Gewöhnung was man von ihnen verlangt.


Vulkan Toliman und Atitlan sind gerade mehr als halb von Wolken eingehüllt. Von weiß über alle Grauschattierungen bis hin zu dunklem Grau. Beim Nachbarvulkan San Pedro spielt sich dasselbe ab. San Lucas sitzt in der Sonne, und auch ich hier auf der Seebank. Der Wind kommt aus dem Süden. Es sind vielleicht 150 km zum Pazifik von hier aus.


Der maulkorbtragenede junge Radler rollt wieder hinter meinem Rücken durch, jetzt zurück in die Richtung aus der er kam. Eine einheimische Familie aus fünf Mitgliedern planscht und suhlt sich im Seewasser. Alle von kleinem Wuchs, die Mutter recht dick, ihr Mann noch ohne großen Bauch, die drei Kinder noch relativ schlank. Drei und mehr Kinder haben hier in Mittelamerika viele Familien. Ich sprach vergangene Woche mit einer Nüsseverkäuferin, die hat zwölf Geschwister und erzählte, sie wisse von anderen die seien über 20 Kinder in der Familie, scheinbar mit ein und denselben Eltern.


Die Tandemparagleiter sind gestartet, zwei gerade. Ich habe letzte Woche den Starthügel besucht, kam zufällig daran vorbei, als ich von San Andres aus eine gute Aussicht über den See suchte.


Der Fischer leitet sein Baumstumpfkanu jetzt gezielt und rasch gegen Osten. Kunststoffboote in verschiedensten, auffälligen Farben und auch Musiklärm kommen ihm entgegen. Es scheint als ob er nicht dazugehört, er verschmilzt mit den Farben der Umgebung. In Wirklichkeit könnte man es auch so sehen, dass er der einzige ist der hier dazugehört zum jahrtausendealten Kreislauf am See des Hochlandes. Und wenn der gesamte Zivilisationskram wieder verschwunden sein wird, wird einer seiner Nachfahren genau dasselbe tun. Er wird versuchen in einem Einbaumboot und mit einer Holzschaufel am See zu navigieren und mit einem Netz Fische zu fangen, weil er und seine Familie hungrig sind.


'Kuku'- Fischer hier bei San Lucas. Ein Bild das es seit eher am See gibt und noch lange geben wird.


Die junge Planschfamilie hat sich mittlerweile trockene Kleider übergestreift. Der Vater sitzt auf einem Stein unter einer jungen Trauerweide. Die zwei Mädchen haben ihre Gesichtsmasken bereits wieder auf, ihr Bruder sie erst noch in der Hand.

Ein weiterer Fischer rudert seinen Einzelkahn mit abwechselnsd links- und rechtsseitigen Schlägen gegen Osten. Unfassbar wie schnell er vorankommt, obwohl er fast gegen den Wind zu manövrieren hat.


Der Familienvater macht inzwischen ein Handyfoto von seiner jüngsten Tochter vor dem Wasser. Sie hat ihre Maske erst über den Mund, noch nicht über ihre Nase geschoben.

Mein gespitzter Bleistift wirft seinen Schatten mit meiner rechten Hand auf das blendend weiße Notizbuchpapier der linken Seite. Frisch gekauft, vorgestern. Die rechten Blattseiten werden vom Südwind versucht aufzublättern, das Gewicht meiner rechten Hand verhindert das. Ich mag wenn ich Wind spüre, immer schon. Am angenehmsten ist natürlich warmer Wind und nicht zu heftiger, klar. Oder ein laues Lüftchen, das ist dann sogar Seelenbalsam.


Wenn ich Wind spüre, dann fühle ich wie ich lebe. Ich bin draußen, da gehöre ich hin.


Inzwischen hat das kleinste Mädchen ein Handy in ihrer linken Hand. Das ältere, große Mädchen pflückt die Früchte eines Busches ab, die aussehen wie Weinreben. Der mittlere Bruder wirft Steine in den See, ebenfalls linkshändig, mehr oder weniger elegant.


Jetzt verlassen die fünf den Strand und auch Sohn und Vater bedecken sich zwei Drittel ihres Gesichtes mit Masken. Auch für mich wird es Zeit meine Füße wieder in meine Sneakers zu stecken. Die Blasenschmerzen habe ich hier wunderbar vergessen.

Für kurze Zeit alles vergessen. Wie Not tut das oft?!


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