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Das Spiel des Lebens am Libyschen Meer


Szenerie: Eine Dorfschenke an der Südküste Kretas

Bin im Epizentrum des windigen Küstenortes Sindonia. Die Kellnerin des Tages ist das Hypozentrum. Ohne ihr läuft hier gar nichts. Jeder grüßt, jeder will etwas, jeder hat irgendeinen Spruch oder eine spezielle Grimasse auf Lager, ohne die es offensichtlich nicht so geschmiert liefe wie es der äußere Schein vermuten lässt.


Die Dorfcharaktere sind (weltweit) austauschbar, wie überall auf diesem Planeten findet das Leben in irgendeinem Dorf statt. Ein riesiger Weißer kam gerade herein. Ein blaukariertes Buttondown-Hemd, frisch gebügelt, zwei Mal umgeschlagene Hemdsärmel, dadurch wird seine klassische Armbanduhr gut sichtbar. Seine Brille sitzt gut auf den nicht zu kleinen Lauschern und dem schmalen Nasenrücken. Die Nase selbst rümpft sich der alte Fuchs, während er unten heraus auf seine Karten schielt. Sein Gebiss zeugt von vielen Jahren Futteraufnahme. In seiner Hüftumhängetasche befindet sich vielleicht Persönlichstes, wer weiß?


Seine Spielpartner überragt er an Alter. Ihm gegenüber hockt ein Ü-20iger mit gepflegtem Vollbart und Sonnenbrille. Die andere Paarung, ebenso zwei Herren. sind Ü-50 und Ü-60, schwarz, teils graumeliert, klein, durchdrungen. Ich nehme an gewiefte Spieler. Der Fünfte schnappte sich einen Tischschemel und fungiert quasi als Spielmanager, darf aber selbst kein Blatt aufnehmen. Dafür bekam er ein gekühltes Wasser, das er jetzt mit zitternder Hand zu seinem Munde führt. Der Manager hat einen Oberlippenschnäuzer. Heute komme ich mir fast vor wie in der Schule beim Thema 'Personenbeschreibung'.


Die erste Blattrunde in Aktion


Dreh-und Angelpunkt zwischen Strandterrasse und Bar ist immer wieder die Dorfkellnerin. Sie muss ständig knapp 30 Meter zurücklegen mit ihren Produkten. Obgleich dieser regelmäßigen leiblichen Ertüchtigung spiegelt ihr Körper anderes.


Das Licht wird fahler, bestes Fotolicht.

Der Spielmanager greift einmal seinem Linken, aber bald auch dem Rechten in deren Spielblatt. Wie unparteiisch er in Wirklichkeit ist, weiß Jesus. Jedenfalls ist er selbst mit seiner Rolle bestens unterhalten.


Jeder am Spieltisch verzieht sein Gesicht oftmals. Einzig der Junge hat das beste, starre Pokerface. Ich denke er kann viel lernen von den alten Spielsäcken. Im TV spielt sich irgendeine Lotterie ab, weltweit gleichgeschalten um 6 am Abend.

Der parteiisch-unparteiische Spielmanager nippt jetzt an einer dunklen, kleinen Tasse, ich nehme an das Getränk heißt Kaffee. Wieder hat er Mühe das Gesöff zum Mund zu bekommen. Ruhige Hände würde er sich wohl wünschen.


Die Sonne hat das Epizentrum verlassen.

Zwei mittelalte einheimische Frauen spazieren über den Platz. Ihr Haar ist jeweils lang und tiefschwarz. Auch Kinder gibt's im Küstennest. Nun stößt Al Capone mit Spazierstock und Mafiakappe zu den eingespielten Spielern dazu. Er brüllt: 'Anton ia Kaffee!' So eindringlich, dass er es wohl nicht mehr wiederholen muss. Sein Auftritt sagte mir zumindest so etwas Ähnliches wie: 'Wieso ist mein obligatorischer Kaffee nicht schon auf dem Tisch, bevor ich endlich ankomme?'

An Herzinfarkt sehe ich von diesen alten Männern gerade keinen sterben. Sie schlendern fast wie der Gang der Sonne gemütlich über's Epizentrum.


Der älteste und längste Kartenspieler gähnt und ist am Austeilen des Blattes. Zwei Jugendliche spazieren über den Platz. Wieder kommt ein weißhaariger Brillenträger in die Schenke. Er richtet die Decke des Nachbartisches fast penibel zurecht. Ein Spielblatt liegt auf dem Spanplattentisch. Sein dunkler Blouson ist zu drei Viertel zugezippt. Irgendwie scheint er zu warten.


Der mit Abstand Ruhigste ist der Boss der Herberge. Ihm scheint nichts zu bewegen, äußerlich.

So schnell kann ich gar nicht schreiben - und schon hat der Neuankömmling zwei weitere Gambler gefunden - das Blatt macht bereits die Runde, vorerst spielen sie zu dritt.


Ohne die Droge Kaffee können auch diese zwei Neuzugänge scheinbar nicht richtig ins Spiel finden. Gespielt wird übrigens mit 'Kopfkarten' oder wie nennt man noch einmal dieses klassische Blatt mit vier Farben, König, Buben, Dame,...? 'Doppelkopf?' Ich weiß es nicht, zu lange her meine letzte Spielrunde.

Die Gambler werden erst so richtig warm. Es könnte noch lange gehen. Ich stelle mich an die Bar um zu zahlen. Gleichzeitig muss ich dringend auf die Toilette. Zu viel Wasser hineingekippt.


Das Küstennest wird von der heutigen Sonne verlassen



Nächster Tag:

Nachtrag zu gestern: Als ich die Schenke verließ, das Epizentrum querte, entdeckte ich einen Tisch mit fünf Mädchen. Eines saß an einer Ecke, die anderen hatten ihre klaren Positionen an den Breitseiten. Was sie machten? Sie spielten Karten! Definitiv nicht weniger ernsthaft als die Dorfälteren. Mit Geld. Ich hob eine 50 Cent Münze von ihrem Tisch auf und musste lachen, wenigstens schmunzeln. Alle Mädchen waren einiges unter 10 Jahren.


Wie pflege ich des öfteren zu sagen? 'Die Jungen machen genau das nach was sie von den Alten sehen.' Nicht nur hier. Nein, in jedem Dorf der Welt. Im Spiel des Lebens.

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