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Der lange Tag


Ich hänge auf der Couch in der Angulo Beachbar in Santa Maria auf Sal, der nordöstlichsten Kapverdeninsel. Sehr angenehmer Rattandiwan mit weißen Lederunterlagen und jede Menge an Pölstern. Nicht so schön wie die ich mit einer Exfreundin gekauft hatte in Oberndorf in Tirol, aber es lässt sich sehr gut lümmeln hier.


Wie lange ich noch herumlümmeln muss heute wird sich herausstellen. Mein Abflug ist um 0:15 geplant, also eh schon nach Mitternacht. Wenn flightradar.com Recht hat, dann hebt mein Flieger in LIS erst mit 2,5h Verspätung ab. D.h. die Maschine ist jetzt noch am Boden, sollte eigentlich aber schon über den Atlantik cruisen.


Eine Pizza gab's nicht, jetzt warte ich auf ein simples Boccadillio, es dauert...


Dass das ein langer Tag würde, das war vorprogrammiert. Erst musste ich einmal schauen, dass ich noch bis zum Abend im Hostel bleiben konnte, das war nicht weiter schwierig, mit etwas Tip.


Jetzt musste ich aber erst einmal den jungen Kellner zusammenstauchen, weil ich auch das komische Brot nicht krieg. Der alte Kellner hat mir noch die Essensunterlagen serviert plus Besteck. Dann ist er verschollen. Bravo!


Eigentlich ist das kein Saftladen, heute jedoch schon. Der Kellner nahm meine Bestellung entgegen, haute ab, sagte seinem Kollegen nix und ich krieg auch nix. Gut, dann gibt's halt nichts mehr am Abend dessen Ausgang noch völlig offen ist.

Wenn ich dem Netz glauben darf, ist die Maschine aus Lissabon weiß Gott wo. Ich hatte diesen täglichen Flug bereits oftmals vorher am Radar verfolgt, auch etwa gestern. Da waren die Vögel laut Netz planmäßig unterwegs und in der Luft.


Da bereitest du alles im Detail vor, und dann kommt alles ganz anders als man denkt. Wie's wirklich kommt ist vorerst offen. Statt um Mitternacht soll's jetzt um etwa 3am losgehn.

Da bezweifle ich gar ob das überhaupt noch etwas wird mit diesem Flug.



Stillstand auf Sal? Die Salzinsel der Kapverden.


Mein aktueller Plan sieht wie folgt aus: Jetzt hänge ich noch bis 10 hier in der Bar herum, hab' Internet und möchte mich dauernd versichern ob der besagte Flieger auch (noch) in Lissabon abhebt, wie ausgewiesen.


Sollte er das tun, dann sind's immer noch etwa 4 Stunden bis er ankommt. Also könnte ich mich noch 2 weitere Stunden im Zentrum aufhalten bevor ich mit einem Taxi zum Flughafen fahre. Das mit dem Plan morgen zu Mittag mit dem Auto von Luxemburg nach Straßburg zu fahren kann ich bereits vergessen und wie (un)schön sagt man im Ruhrgebiet, 'in die Pfeife rauchen'. Gott sei Dank rauche ich nicht. Das würde wenig beitragen zu irgendetwas Nützlichem.


Im Prinzip ist es ziemlich egal was passiert, ich hab' genug Zeit, Urlaub, frei, was auch immer, wie immer man das bezeichnen möchte, genug davon!


Zugegebenermaßen hab' ich gegenüber der Zeit nicht mehr die legere Lockerheit wie ich sie hatte, als ich noch dauerhaft hier in Afrika lebte. Da stand ich öfters an der Straße und hatte keine Ahnung wann und mit wem ich weiterkomme. Irgendwann wird man so relaxed, dass man einfach alles auf sich zukommen lässt. Ja, lassen muss, denn es bleibt einem wenig anderes übrig.


'Thomas, was würdest du tun, wenn du nicht Bleistift und Notizheft gerade jetzt mit dir hättest?'

Ich weiß es nicht.


Mit dem aktuellen Verschriftlichen von Gedanken passiert auch eine gewisse sofortige Therapie, um es nicht gleich als Reinwaschung zu bezeichnen. Ich bin ja eh schon nicht ganz so schlecht im 'Zeit totschlagen', aber besser als etwa ständig am Handy herumscrollen ist eindeutig schreiben oder lesen.


Wartebar am Meer


Erster Anflug von Müdigkeit überfällt mich, eh klar.


Es ist beinahe Mitternacht und der TAP-Vogel ist noch immer am Boden in Europa oder wo auch immer. Am liebsten würd' ich natürlich hier auf der Couch einschlafen und die Brandung den Rest machen lassen. Aber das wird's nicht spielen, leider.



Mittlerweile bin ich im Flughafengebäude von Sal, nahe Espargos. Hab' eingecheckt. Die Maschine sollte in gut einer Stunde ankommen, sie ist also doch noch auf Kurs. Gott sei Dank hab' ich im Zentrum von Santa Maria die Zeit noch gut vertrödeln können. Und zwar hauptsächlich in dem Pizzaladen wo ich mit am öftesten gegessen habe. Die haben wirklich bis Mitternacht offen. Natürlich musste ich wieder ein Focchacio und ein Bierchen konsumieren. Internet gibt's dort auch das funktioniert und so konnte ich sehen, dass die TAP-Maschine wirklich gegen die Kanaren zieht, also auf Kapverdenroute ist.


Neben mir saßen sich drei junge Italienerinnen hin und haben sich je eine ganze Pizza hineingeschoben, um 11pm. Nichts Außergewöhnliches bei den Neurömern.


Dann noch das Taxigeschäft.


Ich war diesen Straßenindianern sozusagen ausgeliefert, meinen Lieblingskollegen, sozusagen. Der erste wollte 20€. Ich sagte: 'No!' Fertig die Diskussion erstmal. 15 war meine Schmerzgrenze, um die er dann später doch bettelte und fuhr, durch die Nacht von Sal. Ein wundervoller Sternenhimmel über unserem belebten Kosmos begleitete uns Nachtschwärmer.



Diese liebe Wasserschildkröte sollte ihren Job eigentlich nachts verrichten hier am Strand. So aber war ich schon zugegen und durfte sie länger beobachten, was für ein Glück und Geschenk?!



Jetzt werd' ich wieder einmal müde. Es wird so gegen 1:30 am sein.



Hier hänge ich in Lissabon nicht in den Seilen, aber Gott sei Dank auf dem Boden. Es war schwierig genug irgendeinen Platz zu finden in diesem absolut überfüllten Hub Portugals.

Warte auf einen Flug nach Porto, der nicht wirklich auf meinem Routenplan stand.



Es ist Mittag.

Ich sitze nicht zu Hause in Walferdange, sondern verschlafen im Flug von Lissabon nach Porto. Wunderschönes Wetter.


Natürlich kam unser Flieger aus Sal viel zu spät nach Lissabon, keine Chance den Anschlussflug nach Luxemburg zu erwischen.


So hässlich ist diese Portugal gar nicht aus der Luft! Winter möcht' ich jedoch keinen verbringen hier an der rauen Atlantikküste. Ich bin sauer, weil ich viel zu wenig Schlaf habe. Es war nie mehr als eine Stunde die ich durchgehend gut ruhen konnte. Der Körper müht sich dann durch den vorgegeben Weg anstatt auf einer Parkbank am Fluss unter Weiden zu laben.


Das connecting flight Management von TAP in LIS war eigentlich lobend zu erwähnen, sehr, sehr engagiert. Bis auf mein Ticket lagen bereits alle anderen neuen auf einem Tisch, von zwei Krisenmanagern betreut. Es verpassten ja viele allein aus unserer Maschine ihre Anschlussflüge. Dabei sind einige Passagiere schon völlig außer Rand und Band. Wenn ich mit dieser Laune des Tages nicht fertig werde, wie soll ich dann richtige Krisen bewältigen?


Mein Ticket wurde von der Servicedame umgehend nachgedruckt und daneben ein Essensvoucher für 6 Euronen. Zugegeben, den Bauch schlägst du dir am Flughafen für diesen Gutschein nicht voll, aber ein Wasser müsste dafür zu bekommen sein. Ich werde dieses Ding aber erst in Porto einlösen, wenn ich die Zeitplanung nicht wieder völlig aus dem Ruder gerät. Ich hab' das Gefühl die Airline kriegt gerade gar nichts pünktlich hin.


Windräder unter uns am Boden, einige bewegen sich.


Es rauscht fürchterlich. Die Turbinen des Carbonschiffes dröhnen durch die Luft. Es ist kalt. Heute hab' ich genug vom Fliegen und TAP. Nicht einmal den Minigutschein konnte ich in Porto einlösen, war nur für Lissabon gültig. Kein weiteres Kommentar dazu.


Wir scheinen über Paris zu segeln, ein Riesenflughafen tief unter uns. Ich habe einmal gebrannt für's Fliegen. Diese Zündkraft geht seit Corona 2020 allmählich zurück. Wie gern hab' ich mich früher mit Stewardessen unterhalten, über Allgemeines und Technisches, Geographisches. Heute nehm' ich mich vor genau diesen Flugbegleitern besonders in Acht, weiche fast jedem Blickkontakt aus, mit oder ohne Maulkorbmaske, fast egal. Sie sind die Schergen der Unterjochung geworden. Sobald du die Flugzeugtür betrittst gibt's ein ernstes, komisches Gesicht hinter diesen hohlen Masken, Die Menschlichkeit bleibt auf der Strecke.



Kalt in diesem Vogel, fürchterlich.


Ich sitze am Fenster, wie meistens. Bin jedoch froh, wenn der Flug bald landen wird, hoffentlich bald und gut. Kein Bildschirm, keine Info, kein Snack, kein Drink, kein Lächeln, es ist kalt geworden inzwischen in den Fliegern. Nicht nur außerhalb wo am Fenster Eiskristalle entstehen und die Sicht arg trüben.


So endet ein langer Tag wie üblich, so auch dieser - mit der Nacht. Wir landen gut. Ich verfahre mich noch mit dem Stadtbus der mich im Nowhere absetzt. Aber das ist noch einmal eine andere Geschichte. Auch in dieser Nacht sehe ich irgendwann ein Bett. Trüb aber doch. Spät auch.



Vergessen ist der lange Tag. Die Müdigkeit beamt das Bewusststein in andere Sphären.






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