Menschliches Zeitfenster
- Thomas Hopfgartner
- 23. Juni 2021
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Juli 2021
Unter mir fließt mit leichtem Geplätscher ein Bächlein direkt in den See.
Dieses flutende Geräusch ist einerseits beruhigend, andererseits lebendig, unaufdringlich, natürlich, unaufhörlich, besänftigend, quirlig.
Also belebend und beruhigend zugleich.
Das frische Wasser wird vom See verschluckt. Wie viele solcher Rinnsale und Zuspeisungen mag dieser Kratersee wohl haben? Ich denke es sind ziemlich viele, denn ringsum steht ein Kranz von Hügeln, Steilwänden, Bergen und mächtige Vulkanflanken die den See bis zu 2000m überragen.
Hier fließt der Rio Panajachel zum See. Täglich holen Leute Steine, Schotter und Sand vom Schwemmbereich. Sie sieben das Konglomerat auf Gittern in mehreren Gängen händisch klein.
Am Morgen gab es Regen, zum ersten Mal. Ansonsten findet dieser immer zwischen dem frühen Nachmittag und den Nachtstunden statt, jetzt in der Regenzeit. Dieser Lago Atitlan füllt einen bis über 300m tiefen, alten, riesigen Krater aus. Halb so groß wie der des Ngorongoro Kraters in der Serengeti Tanzanias. Dort ist er nicht mit Wasser gefüllt, sondern je nach Jahreszeit mit üppiger Vegetation und dementsprechend großer Vielfalt von afrikanischer Pflanzen- und Tierwelt.
Wenn ich als kleiner Mensch immer wieder einmal an die geologischen Zeitdimensionen denke, wird mir bewusst wie kurz unser Lebensgeschenk ist, dieses Zeitfenster in dem wir einen Blick auf die Welt werfen dürfen. Das hilft sich besser einzuordnen, sich einzufügen, das ganze Leben besser zu verstehen. Als lebendiger Teil des Ganzen sind wir eingebettet in die Natur und deren Kreisläufe.
Allein der Versuch daran zu denken wie dieser Krater entstand, wie lange das dauerte, wie und wann er sich dann mit Wasser füllte und irgendwann sehr spät erst Menschen sich um den See siedelten, führt zu Demut und Bescheidenheit gegenüber erdgeschichtlichen Prozessen und Entwicklungen, denen wir völlig ausgesetzt sind. Heute scheint für uns Menschen dieser Prozess abgeschlossen zu sein. Die Natur steht gleichsam still, und genau so ist es nicht. Nur mit unserer menschlichen Ungeduld können wir große Zeiträume nicht wirklich fassen. Ein Staunen bleibt über und ein Unvorstellvermögen.
Dass auch die feste Erde auf der wir täglich wandeln in Veränderungsprozesse eingebunden ist, darüber lohnt es sich ab und zu nachzudenken. Allein wenn man etwa Bäume berührt und betrachtet, die ein Menschenleben überaus kurz erscheinen lassen, weil sie ein Vielfaches älter sind, beruhigt irgendwo. Die festen Steine und Felsen, Gebirgszüge, alles Resultate von geologischen Entwicklungen die über viele Jahre gehen und nie wirklich abgeschlossen sind, immer in einem Kreislauf sich befindend. Die Kontinente selbst die wir heute vorfinden liegen auf Megaplatten, die sich gegeneinander bewegen, was zu Erdbeben und Vulkanausbrüchen führt. Andere Prozesse lassen wuchtige Gräben und tausende Meter hohe Berge enstehen.
Der Nachbarvulkan Fuego etwa ist momentan recht aktiv, gerade vor zwei Stunden beobachtete ich aus der Ferne wie er dunkle Rauch-und Gaswolken in die Atmosphäre ausstieß, einem Pfeifenraucher ähnlich. Als ich im Studium in Cambridge, England war, hatte ich Lilian eine fantastische Geologin als Professorin am Homerton College. Man hatte das Gefühl die Frau versteht die geologischen Zusammenhänge der Welt völlig, durchschaut sie und versuchte sie uns 'Laien' verstehen zu machen. Sie schaute einen Stein an, eine Erdschichtung, eine Einlagerung in Gesteinszusammensetzungen und wusste direkt, oder besser, ahnte sehr bald wie diese zu Stande gekommen waren. Auch wann und wie es dazu kommen konnte. Der Fundort gab ihr weitere Aufschlüsse.
Leider war ich in dem halben Jahr damals Mitte der 90iger Jahre nie mit ihr auf fieldtrip, wo sie vor Ort hätte erklären können was in zig Jahren erdgeschichtlich abgelaufen sein könnte. Allein aber die Bilder die sie zeigte und deutete, schon das war ein Erlebnis. Sie entdeckte viele Länder und geologische Formationen, auf andere war sie noch so neugierig, aber eben, ein Menschenleben ist sehr begrenzt.
Viele Vulkane hier in Guatemala sind klassische Schichtvulkane, also Stratovulkane mit mäßig bis sehr steilen Berghängen. An den fruchtbaren Flanken bildete sich mit der Zeit ein gemischter, starker Urwald, der versucht wird vom Menschen in Teilen in Ackerland umzuwandeln. Doch ist er nicht fleißig dabei 'sein Land' zu bewirtschaften, verschluckt die 'Natur' diese Schneisen und geometrischen Äcker wieder und überwuchert das was dem Menschen so heilig war.

Am Seeufer in Panajachel, das sich heute auf einem großen Schwemmkegel des Flusses Rio Panajachel befindet. Viele Jahre zogen ins Land ehe der Kegel so war wie heute.

Alles worauf die Häuser heute stehen ist Schwemmhalde des Rio Panajachel
Foto von San Jorge aus
So lohnt es sich, wenn wir uns wieder einmal gar so wichtig nehmen, uns in die Natur zu setzen und zu überlegen wie die unmittelbare Gegend entstanden sein könnte und wie dankbar wir sie betrachten dürfen in unserem kurzen Menschenleben - unserem Zeitfenster.
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