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Santa Maria de Jesus - 'In Lak ech'

  • 3. Juli 2021
  • 8 Min. Lesezeit

Los ging's mit einem der kleineren 'School buses' am Terminal von Antigua. Schön kastenförmig und noch in 'original' gelb gehalten, unaufgetuned, so wie aus den USA vor etlichen Jahren importiert. Was ich mich frage, haben sie diese ganzen gebrauchten Chicken - Busse aus den US-Bundesstaaten alle heruntergefahren nach Guatemala, oder teils doch verschifft?




Die in Kolumbien in manchen Städten herumfahren müssen sie aber verschifft haben aus Nordamerika, denn die Landbrücke zwischen Panama und Kolumbien, der 'Darien gap' , 'Tapon del Darien' ist nicht durchfahrbar, der Panama - Kanal selbst müsste über Brücken überwindbar sein. Dieses Stück auf der Panamericana von Alaska bis Feuerland fehlt also bisweilen.


Ich nahm hinten im letzten Sitz Platz, wieder war quersitzen angesagt, Knie am Gang und direkt hinter mir die rückseitige Tür, ich liebe so einen Ausgang. Rein kann man natürlich genauso von hinten, eh klar. Es ist wie beim Flieger, wenn man plötzlich auch hinten raus kann, oder hinten rein darf, genial.


Über das holprige Steinpflaster ging's los mit einigen Stopps durch das Zentrum der alten Hauptstadt des Mayalandes. Bald darauf dann aufwärts in Windungen und zur Abwechslung teils sogar gute Musik an Bord, ich schätzte es sehr.


Bereits im Bereich des Ortseingangs der Bergmetropole verließ ich den Schulbus, genau bei den Waschweibern, die bereits voll beim Arbeiten waren, plus Mädchen. Obwohl mich dieses Treiben an den Waschbrunnen sehr interessiert sparte ich mir dermal einen Aufenthalt. Wie ein Straßenköter oder Landstreicher trottete ich meiner Nase nach, etwas anderes geht ja gar nicht. Die Uhrzeit ist mir dabei völlig egal, ich trage auch nur wenn's der Beruf verlangt so ein männliches Statussymbol. Zu sehr lenkt mich so etwas ab.


Bald bog ich einen Seitenweg ab, zuerst war er noch flach, dann jedoch führte dieser stetig und schlussendlich steil bergauf. Der Mais links und rechts von mir war bereits höher als mannshoch, alles sattgrün, in der Nacht hatte es ja wieder einmal geregnet. Ein Gaul und ein Bauer waren im Feld auszumachen, nur halb so hoch wie die Maisstängel waren sie im Zentrum meines Durchblicks. Weiter oben niederere Mais, viele dunkelbraunen, ja teils schwarzen Erdfurchen auf denen die Campesinos meist Friqoles, also Bohnen anpflanzen im Mix mit Mais eben. Die Erde selbst war noch feucht vom Nass der Nacht. Beides, der Mais und die Bohnen kommen in verschiedenen Farben gereift auf den Markt, ein Bild der Fülle bietet sich dort.




Ein anderer wunderschön mittelbrauner Gaul, sehr mageres Pferd war in der steilen Böschung an einem Strick angebunden, nahm aber Kenntnis von mir. Diese Maultiere helfen den Campesinos hier als Tragtiere, sind also sehr, sehr nützlich. Der Nutzen ist die Arbeitserleichterung, wie seit eh und je. Wenn ich das heutzutage etwa in Marokko oder Nepal beobachte, dann ist mir völlig klar wie sinnvoll das Lastentier ist. Es braucht kein Öl für einen Motor aufwändig gefördert zu werden, es gibt keine kaputte Karosse wenn es vorbei ist die nicht mehr verrottet, das Pferd frisst das was es am Weg findet und was man zufüttert und schleppt eben Lasten, die der Mensch dann eben nicht zu tragen hat. Hier aber schuften die Leute auch heute noch wie in der westlichen Welt früher. Der Blick in Richtung Ortszentrum war gut, Vulkan Agua dahinter zierte sich heute aber und war meistens sehr wolkenverhangen.


Jetzt trieb mich meine Hundenase in weitere Seitengässchen und ich begutachtete manche Behausung, man könnte auch 'Slumhütten' dazu sagen. Wellblech, manches nagelneu, vieles aber älter bis durchgerostet dient dabei eigentlich für alles. Sicher als klassisches Dach, klar, aber auchgenauso als Seitenwand, Tür, Verschlag und mehr. Man muss auf die scharfen Kanten des welligen Gesellen manchmal sehr achtgeben, sonst verletzt man sich böse. Aufgehängte Wäsche, freilaufende oder angebundene Köter, Babygeschrei oder Radiomusik lassen ein Gefühl von Heimeligkeit aufkommen.




Eine ähnliche Wohlfühlatmosphäre habe ich z.B. auch in Slums von Rio de Janeiro vor 5 Jahren gespürt. Viele Menschen lieben ihre Behausungen und fühlen sich wohl dort. Slums haben einen teils viel zu schlechten Ruf. Diese hier sind in einer herrlichen Gegend, äußerst fruchtbares Land, frische Luft, etwas Unordnung halt plus Zivilisationsmüll auch überall auf den Feldern. Aber ich gehe davon aus, eine funktionierende Dorfgemeinschaft und von außen eine heile Welt, die es natürlich in der Wirklichkeit nicht gibt. Ich machte kurze Videos von den 'heimeligen' Behausungen. Besonders gefiel mir ein weißer Kanister der mit 'Buzon' beschriftet war, also Briefkasten mit einer ausgeschnittenen Frontöffnung mit Klappe versehen, für den Posteingang.


Zurück aus dem Labyrinth sprach ich spontan den Maisbauern an mit 'In lak ech!' Ich wollte diese Mayagrußformel in der Praxis ausprobieren, ich hatte sie nämlich aus dem Netz. Sie bedeutet so viel wie: 'Ich bin du und du bist ich!' oder 'Du bist mein anderes Ich!'

Nun, der Bauer grüßte ebenso und erzählte, dass sein Pferd 7 Jahre alt sei, ihm das Feld hier aber auch andere gehörten und er nicht nur ein paar Mal am Hausberg Agua oben gewesen war, sondern auch einmal am Meer, am Pazifik. Während sein Gaul am Boden mit seinem Gebiss Maisstängel zermalmte teilte ich ihm mit, dass ich zuvor mehrere Monate in Mexiko gewesen war und jetzt seit einem Monat in Guatemala, was mir gut gefalle. Ich versicherte mich auch wann der Mais reif würde und wie oft dieser geerntet würde hier.


Freundlich verabschiedeten wir uns, und tatsächlich, 'Ich war er und er war ich.' bei dieser Unterhaltung. Die friedliche und gute Art der allermeisten Mittelamerikaner die ich kennegelernt habe fasziniert mich so, diese Höflichkeit, diese Manieren, davon bin ich wirklich begeistert, immer wieder angetan davon und trotzdem allemal positiv überrascht.


Am erweiterten Ortszentrumsende führte ein Weg leicht bergab, ich sah zwei Männer arbeiten, wie sich herausstellte war es einer der kommunalen Müllplatze, 'lugar de basura' auf Spanisch. Direkt daneben etwas erhöht ein kleines Plateau mit einem ausrangierten Chicken-Bus und einer herrlichen Aussicht in einen Krater voller Landwirtschaft, den man ruhig als Acker Gottes bezeichnen könnte. Alles grün, bestens gedeihend mit einigen Feldarbeitern in Aktion. Mich erinnert diese Gegend sehr an den Süden Ugandas, die Virunga Mountain range. Eine vulkanige, hügelige Landschaft mit teils bis zu vier, oft aber drei Ernten im Jahr, ein Paradies des Wachstums und der Fülle.


Nachdem ich mich sattgesehen hatte, stolperte ich fast über veräußerte Kinderwindeln, diese Plastikwattepäckchen mit Inhalt verrotten langsamer als es gut wäre. Ich bin auf den Reisen dieses Jahrhunderts auf keine Mutter mehr gestoßen, die Stoffwindeln für ihr Kleinkind verwendet und diese regelmäßig auswäscht. So wie das meine Mutter bei uns Kindern noch tat. Das soll nicht heißen, dass es das gar nicht mehr gibt, ich komm ja nicht in jede Ecke dieser Welt. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass das die natürlichste und biologischte Art ist, die wieder auftauchen wird.


Nun denn, ich bog um zwei Ecken und ein etwa 10 jähriger Bub schob einen beladenen Schubkarren aufwärts auf mich zu. Den Moment musste er die Last auch schon wieder absetzen, denn er hatte sich eindeutig übernommen mit der Schwere. Zwei andere Kumpanen folgten ihm, je um einiges jünger, nicht arbeitend. Denen steckte ich jeweils ein Menta-Bonbon zu, sie freuten sich und lachten. Aber auch dem halbstarken Arbeiterjüngling gab ich eins, er nahm es etwas verlegen an. Vielleicht wollte er mir mit seiner Schubkraft imponieren und beweisen wie stark er schon ist und war schlussendlich von sich selbst etwas enttäuscht in dem Moment. Die zwei Kleinen verrieten mir ihre Namen, der Jüngste nannte sich Pablo, der Mittlere Jose und der Schubkarrenmeister William. Da musste ich noch einmal nachhaken bevor ich mir sicher war.


Die zwei kleinen Stöpsel machten meinen Tag - in der schwarzen Plastiktasche war ein noch lebendiges Meerestier das sich immer einmal wieder etwas bewegte - gruselig für die Kleinjungs - absolut sensationell - das Mädchen versuchte die zwei zu beruhigen - aber die Burschen waren immer wieder fasziniert von der Lebendigkeit der Tüte - es war der Gag des ganzen Marktgeschehens


Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ja auch hier Vorbild und so vergeben die Familien auch gerne englische Namen, an Stelle von klassichen Mayanamen. Die ganze Gasse entlang war inzwischen schon Gringoalarm, weil ich durchmarschierte. Neugierige Gesichter auf beiden Seiten, von den Einheimischen, als auch von mir. Dann tauchte ein Bub in mittlerer Entfernung mitten auf der Straße auf, und platschte dort durch wo die große Wasserlacke am tiefsten war, ich musste innerlich lachen. Ich suchte links oder rechts davon einen trockenen Streifen, war aber kaum möglich und sprach ihn an: 'Du liebst Fußball?', fragte ich. 'Ja, klar!', er zu mir. Er hatte nämlich Fußballschuhe an. 'Du kommst von der Schule?', fragte ich weiter. 'Si, signor!', antwortete er. 'Gehst du gerne zur Schule?', fragte ich. 'Ja!', meinte er. 'Wie viele Tage pro Woche bist du dort?' 'Lunes a Viernes.' Also fünf. 'Welchen Fußballer magst du besonders?', fuhr ich fort. Der Bursche erwiderte: 'Barca.' Gut, da verriet er mir seinen Lieblings Fußballverein, FC Barcelona aus Spanien, ein halbes Missverständnis also.


Ich fühlte mich durch diese ganze Begegnung etwas an meine Schulzeit erinnert, oder besser den Schulweg. Sein Hose war natürlich dreckig geworden. Das hätte meine Mutter damals nicht geduldet. Sie war teilweise sehr streng. Es war gut so wie es war. Seine Mutter kannte ich nicht.


Meine Runde zielte langsam auf das Ortszentrum mit Marktplatz und Kirche zu. Es tauchte ein Mann auf der gebückt ging und drei volle Säcke am Buckel hatte. Zwei hätte wohl noch gut geklappt, der dritte und das Gesamtgewicht brachte den zähen, alten Mann aber immer wieder ordentlich aus dem Gleichgewicht. Deshalb musste er immer wieder einmal Halt machen, absetzen, rasten und seine Bündel neu justieren. Ich wollte ihm eigentlich mit einem Sack helfen, ich überlegte. Andererseits wollte ich als Gringo nicht noch mehr als ohnehin schon auffallen und hier zum Samariter des Dorfes werden, und ließ es bleiben.

Superschwer schleppenden Leuten begegne ich hier jeden Tag. Jedem helfen zu wollen wäre einmal ein interessantes Experiment. Dann würde ich sehen wie verweichlicht ich wirklich bin.



Nun, ich erreichte das Marktzentrum, der Wind blies etwas scharf, wollte mich auf der Kirchen Außenbank in die Sonne setzen, aber der Bereich war heute abgeschlossen. So wurden es die Stufen davor. Es wurde zunehmend lebendiger als sich ein Straßenverkäufer direkt vor mir am Platz positionierte und Gesichtsmasken anbot, 50 Stück für 10 Quetzales. Nach etwa 15 Minuten verkaufte er die erste Packung aus seinem großen Sack. Sein Freund hatte eine lange Rolle Plastikfolie im Angebot. Mit einem geschickten Handgriff zupfte er so an der Folie, dass eine Art klatschendes Geräusch entstand. Ich fand beides recht originell, das markante Geräusch und den jungen Typen mit Baseballkappe, der gut gelaunt drauf war.


Als er sein erstes Geschäft an diesem Platz machte, rollte er so viel Nylon wie verlangt von seiner langen Kartonrolle, zupfte eine Schere aus seiner hinteren, linken, weit unten hängenden Gesäßhosentasche und ein Maßband baumelte auch plötzlich um seinen Hals. Er nahm das gewünschte Maß ab und schnitt das Plastik hinunter. Nicht so ganz einfach hier im Stand, eine halbe Turnübung. Deshalb unterstützte ihn sein Maskenfreund etwas dabei. Danach war das relativ große Nylon aber noch zu falten um es der Käuferin zu übergeben. Das wurde etwas akrobatischer, aber jetzt kam sein Planenverkäufer Konkurrent und gab ihm gelenk Hilfe. Vorher hatten sie sich noch geneckt, nun gab's Teamwork. Das gefiel mir, die Stimmung war heiter.


Die feste Auftraggeberin in traditioneller Tracht war seit dem Beginn des Deals am Telefonieren, sie zahlte auch noch so, klemmte ihre gekaufte, gefaltene, transparente Folie unter ihre linke Achsel und setzte ihren Marktauftritt telefonierend fort. Auf der einen Seite imponierte mir wie sie diesen Einkauf mit 'links' tätigte, die rechte Hand war ja mit Telefonieren beschäftigt. Andererseits finde ich diese Art von Shopping charakteristisch für unsere Zeit, unhöflich, unkonzentriert und definitv nicht nachahmenswert. Ich weiß nicht genau wer den Begriff 'Multitasking' lanciert hat, allerdings finde ich ihn für absolut unzutreffend und nicht konform gehend mit den menschlichen Fähigkeiten. Denn auf zwei oder mehrere Dinge kann sich das menschliche Gehirn nicht gleichzeitig gut konzentrieren.


Rund eine halbe Stunde später nachdem ich mich ein wenig gestärkt hatte, beobachtete ich am Marktbrunnenplatz wie der Maskenverkäufer von vorhin zwei Kartons in den Mülleimer quetschte. Er hatte sonst nichts mehr dabei. Ich sprach ihn an und fragte: 'Hast du alle deine Packungen verkauft?' Er meinte froh: 'Ja, alles weg, welch ein Glück, Gottlob!' Ich konnte das kaum glauben, er auch fast nicht. 'Du bist nicht täglich hier, oder?', fragte ich weiter. Der junge Mann: 'Nein, ich wechsle Orte!' Ich fügte hinzu: 'Ich glaube das macht den Erfolg aus!' Er stimmte mir zu.


Später im gelben Ami-Schulbus hinunter nach Antigua stiegen er und sein Nylonfolien- Freund in denselben Transport in dem ich bereits saß. Es war wieder ein schönes Erlebnis in Santa Maria de Jesus. Ich war inzwischen bereits das dritte Mal hier in diesem besonderen Höhenort an den fruchtbaren Flanken des Stratovulkanes Agua, das noch sehr traditionelles guatemaltekisches Landleben vermittelt.


Habe ich Post heute?







 
 
 

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