Vom Boutique-Hotelchen (aus)
- Thomas Hopfgartner
- 1. Nov. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Trinke gerade einen rötlichen, kretischen Wein. Ein kleines Gläschen. Bier gab's nur in halben Litern. Das ist mir meistens zu viel. Besser gesagt nippe ich am kurzen Römergläschen, denn dieser Rebensaft ist mir eindeutig zu sauer. Ich denke ich bin etwas von guten Weinen verwöhnt, elsässischen und oberitalienischen, die ich im August direkt bei den Bauern besorgte.
War bereits zu Mittag hier in dieser Schenke. Da hieß es, das Zimmerchen ist erst um 5 oder halb 6 am Abend fertig. So hatte ich den ganzen Nachmittag um mich in der näheren Gegend herumzutreiben.
Die Location gefällt mir so gut, dass ich nicht weit ausholte, war unten am Strand der von Menschenleere strotzt und überzeugt. Genau was ich wollte, oder suche. Denn auf dem Weg hierher war meine erste Unterkunftsoption in Plakias, ein niedliches Touristennest direkt am Strand ist. Es gefiel mir aber irgendwie zu wenig.
Die Abendszenerie hier im Restaurant ist folgende: Ich bin der einzige Gast. Und etwa sechs Weißköpfe starren in und auf die Glotze. Der lauteste und größte ist mittlerweile wieder verschwunden, damit kann ich bestens leben. Der Rest ist bereits im Wachkoma. Der Chef selbst sitzt auch in der ersten Reihe fußfrei und raucht. Heute vielleicht schon die ... ...?
Seine Frau hört man in der Küche, sie spricht so gut Englisch, dass ich ihn fragen musste woher sie ist. Von den Philippinen, antwortete er. Er habe sie aber nicht dort kennengelernt, sondern auf einer (anderen?) Insel. Gut, die Philippinen selbst bestehen ja aus 1700 Inseln und Millionen von auswandernden Einheimischen die das Geld im Ausland suchen, um es zurück in ihre Heimat zu überweisen.
Eine '9' steht an der Wand gleich beim Eingang, das Ranking einer Intenetplattform. D.h. fast 10, was die Höchstnote wäre. Es sieht fast so aus wie in einer Arztpraxis, wo die Diplomurkunden an der Wand die Klienten von der Richtigkeit ihrer Servicewahl überzeugen sollten.

Wie in einer Boutique? Die Handschrift der philippinischen Wirtin
Morgen wählt Österreich seinen Bundespräsidenten. Kein weltbewegendes Ereignis. Auch für einen Österreicher wie mich nicht. Nicht weil diese Person ganz unwichtig wäre. Ein Kaiserersatz im ehemaligen Kaiserreich ist wichtiger als so mancher zugibt. Nur die Auswahl von Politikern heutzutage und solchen Menschen die ein derartiges Amt anstreben ist geradezu arm an Charakteren, Persönlichkeiten oder einfach demokratischen Staatsdienern. Außerdem spielen Medien heutzutage, speziell die staatstragenden eine derart unrühmliche und verwegene Rolle, dass alles anzuzweifeln wert ist. Die Erde wird sich weiterdrehen, auch mit oder ohne einen neuen alten österreichischen Bundespräsidenten. Die Hofburg wird auch diesen überleben, ist anzunehmen.
Ein anderer Tag.
Vollmond.
Noch ziert er sich. La Luna.
Saint George - Boutique Hotel -Restaurant, steht auf dem Werbeschild vor meiner aktuellen Unterkunft. Ich sitze auf der Veranda und trinke ein Bier, halber Liter. Gestern war mir dieses zu bestellen noch zu viel. Heute trinkt's sich sehr zügig. Ich kann Kreta und den Kretern bis jetzt nur Rosen streuen. Alles vom Feinsten soweit. Einige Kleinmücken versuchen sich im Terrassenlicht. In der Schenkenglotze läuft Fußball. Die Welt scheint in Ordnung für die alten Dorfjungs. 'Johannidis!', schallt's vom Moderator des Matchs.
Wir sind in Griechenland. Der Geburtsstätte des neuen Sports. Olympische Spiele, eine Erfindung der Insulaner. Der Marathon eine Erfindung der alten Griechen. So eine reiche Geschichte. Sie erdrückt fast. Die griechischen Sagen, die griechischen Götter, die Unterwelt, die Mythen, Troja, Zeus, Heraklit, Sokrates, Akropolis, Ägäis, Peleponnes, Athen und vieles andere fällt einem sofort ein zu diesem einstigen Imperium am Mittelmeer, an der Grenze zu den Osmanen.

Eine Bucht im Südwesten der Insel, fast noch ohne Straßenzugang
Der Wind hat sich erstmals vollends gelegt jetzt am Abend. Seit einer Woche war er ständiger Begleiter hier auf der viertgrößten Insel im mediterranen Raum.
Das Fußballspiel scheint aus zu sein. Die Einheimischen verlassen die Schenke. Einer mit offenem Tablet. Was ist eigentlich wenn online nicht mehr ist? Sind manche Zeitgenossen dann noch überlebensfähig? Was tun sie dann mit ihrer Langeweile? Wieder die guten alten Spielkarten auspacken? Ruhiger werden? Zu wünschen wäre es jedem Einzelnen.
Ich warte auf den Mond.
Auf den Vollmond.
Mein Gastgeber spricht auch gutes Italienisch. Ich hatte ihn ursprünglich unterschätzt. Ohne Zigarette geht aber gar nichts. Ich glaube ohne Glimmstängel kann er nicht reden. Egal, er behandelt nicht nur mich wie einen König, auch wenn sein Deodorant 'Rauch' ist.
Dieser gestrige Abend war so wundervoll ruhig. Ebenso die heutige Nacht. Der Wind der eine ganze Woche mitunter heftig blies kam sanft zum Stillstand. Man war es gar nicht mehr gewohnt. Kein Luftzug. Totenstille. Der volle Mond ist über dem Zenit. Die Nacht immer noch beinahe taghell.
Ich stand um 3 oder noch früher auf. Trat hinaus auf meine Veranda. Alles still. Der Sternenhimmel ruhigst, darunter mein ganz persönlicher Ausschnitt unseres Planeten Erde, besänftigt, Stille tankend, regenerierend.
Es gibt Momente im Leben da fühlt man sich mit Mutter Erde wunderbar verbunden und geborgen, zutiefst beheimatet. Ohne irgendetwas dazu. Paradiesisch.
Das kann nur funktionieren wo die Nacht nicht von störendem Lichtsmog beherrscht ist und nicht quasi zum Tag gemacht wird. Der Smog blendet den Menschen so, dass ihm die Sicht zu den Gestirnen am Firmament genommen ist. Er wird sozusagen seiner Rückkoppelung gekappt, nimmt sich selbst die Übersicht und Umsicht auf die Dinge, auf seine Welt, auf seine Heimat, den Planeten Erde.
Je älter ich werde, desto mehr sehne ich mich zurück in diese Naturgeborgenheit weit weg von Städten, auf das Land, in die Berge, an den See, ans Meer, eine Oase, eine Wüste, jedenfalls nahe guten Trinkwassers.
Es ist Morgen.
Die Sonne hat schon eine große Kraft. T-Shirt ist heute keines von Nöten. Ich werde runter zum Strand fahren oder gehen. Das kuschelige Dorf hier lasse ich zurück um später wiederzukehren in meine Idylle, die es ja kaum in Wirklichkeit gibt. Oder doch? Für Momente, für Stunden, Minuten, Augenblicke darf sie uns ruhig einverleiben.

Nichts gegen idyllische Augenblicke
Reise-Schriftsteller wollte ich werden.
Bin ich jetzt einer?
Jedenfalls hilft mir das Verschriftlichen von Gedanken sehr. Zu viele jagen einem täglich durch den Kopf. Indem man einiges aufschreibt kann man ihre Geschwindigkeit etwas herunterbrechen.
Strandcafe
Hab' grad einen Mokka getrunken. Griechische Art. Der Kaffeesatz bleibt diesmal fest am Boden sitzen, etwa 1cm dick. Dazu wird immer Wasser serviert. Bisher hatte ich bis auf ein einziges Mal perfekten Service hier auf Kreta. Die etwas zurückhaltende und nicht laute Art der Leute gefällt mir. Das südliche Mittelmeer ist noch den ganzen Oktober badewarm Das konnte ich vor zwei Jahren auf Gozo bestätigen. Am letzten Oktober schwamm ich dort noch in einer Bucht mit Blick auf Sizilien.
Generell kommt es aber sehr darauf an was der Wind so macht. Heute Vormittag war's absolut windstill. Da musste man ob der Hitze zwischendurch schier fast ins Wasser. Ich war mutterseelenalleine am Strand für vier Stunden, das ist paradiesisch.
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