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Zwiebelernte und keine Witze mit Maria


Etwas spät aufgestanden heute am Sonntag. Da hielt ich mich nicht lange auf mit meinem klassischen Frühstück von Haferflocken mit einer Banane und saß sehr bald darauf im Chicken-Bus hinauf nach Solola. Die Busse würde ich eigentlich lieber anders bezeichnen, etwa Guate-Brummer, aber leider hat sich dieser englische Namen eingebürgert. Die Einheimischen nennen sie einfach buses, oder buses grandes, camionettas, aber es ist eben nichts Einheitliches von deren Seite zu hören.


Oben in der Provinzmetropole sprang ich hinten aus dem originellen Bus, also nicht seitlich hinten, sondern aus der Heckklappe, dort ist immer eine Nottür, die funktionell und mechanisch per Hand bedienbar ist, und nicht hydraulisch ferngesteuert. Ich gebe zu meine Landung war nicht ganz so elegant und abfedernd weich wie die der jungen einheimischen Burschen, aber es war wenigstens ein Sprung und nicht ein ungelenkes Herunterkrabbeln.


Während ich hier im Cafe Texel schreibe, beobachte ich eine weiße Frau, die sehr lange ins Menü starrt, wie ich denke. Jetzt aber nach besserem Zooming meinerseits stellt sich heraus, das ist nicht das Menü das sie liest, sondern sie hat ein dickes Buch vor sich am Tisch aufgeschlagen. Neben all' den kurzen, meist gedrungenen, schwarzhaarigen, indigenen Frauen fällt sie umso mehr auf, ist groß, hat breite Schultern, weiße Hautfarbe und brünettes, langes, glattes Haar zu einem Zopf gebunden. Ihre langen Beine spielen mit ihren weißen Jesusschlapfen, die mich bei ihrem sonstigen Styling eigentlich etwas wundern. Sie erinnert mich an meine Freundin Irene.

Maya in traditioneller Tracht. Die braune Decke um die Mitte wird je nach Belieben verwendet. Sie ist immer dabei. Ein mobiler Schuhputzer dahinter.


Allerdings sind wir eigentlich im Parque von Solola, dem Hauptplatz, wo ich gerade stehe und mich kurz akklimatisiere und fasse. Es ist Sonntag, den Namen verdienend, sehr sonnig und die mobilen Schuhputzer der Provinzhauptstadt haben gut zu tun. Sogar bei einem jungen Mädchen das seitwärts an einer Mauer sitzt und ihre schwarzen Schuhe auf Hochglanz polieren lässt, ich staune. Einen traditionell gekleideten 'signor' frage ich nach der Stelle wo ich Mikrobusse nach San Jose finde. Wenig später stehe ich dort, seine Auskunft war verlässlich und punktgenau. Der Busjunge öffnet mir freundlich die Beifahrertür, ich denke mir, nicht nötig, nahm das Angebot ganz vorne Platz zu nehmen dann aber doch an.


Die Reise geht los, es wird kurvig, bergab, bergauf, gewunden, dem Terrain entsprechend. An der Windschutzscheibe ist genau oben zu mindestens einem Drittel eine schwarze Blende. Der Rest der Scheibe hat zusätzlich noch andere undurchsichtige Merkmale. Nur wenn ich mich bücke erhasche ich den Schlitz der Sicht nach vorne freigibt, obwohl ich vorne direkt vor der Scheibe sitze. Der Fahrer ist unruhig, ständig mit seinem Handy beschäftigt, telefoniert auch und, naja, dementsprechend fährt er auch, nervös, ungut. Kaum hat er sein Smartphone kurz abgelegt, packt er es schon wieder, zappelt mit den Beinen, mein Gott, da sitzt es sich dann doch besser weg von ihm hinten, zu spät.


Wir fahren durch Meere von Zwiebelfeldern die in Terassenform geschickt angelegt sind. Nicht nur das, es ist auch gerade jetzt Ernte. Egal, auch wenn die Woche heute Sonntag schreibt, ganze Familien arbeiten inmitten Haufen von geschichteten Stapeln weißer, frischer Zwiebeln. Leider geht sich während der Fahrt mit dieser Streckenführung und diesem Chauffeur kein Foto vom Mikrobus aus, das scharf und gut geworden wäre. Die Felder voller Lauch und die Zwiebelköpfe selbst zeigen ihre nackte Stirn, das heißt sie wollen heraus.

Zitat meiner Mutter: 'Ohne Zwiebel kann man nicht gut kochen!' Ich hab als Kind Tränen geweint, wenn Mama Zwiebeln schnitt. Manche setzen sich dafür auch eine Schneebrille zum Schutz auf, wie eine meiner Exfreundinnnen. Das heißt, obwohl die Zwiebel teilweise sehr auf die Tränendrüsen drückt, wir wollen nicht auf sie verzichten. Heute geb ich meiner Mutter recht, die Zwiebel ist der Geschmacksbringer in der Küche und beim Essen schlechthin.


Die Zwiebeln wollen raus, es ist Erntezeit.:-)


Die junge, recht hübsche Frau hat ihr Buch inzwischen zugeschlagen. Es hat einen rosa Umschlag, sieht also aus wie eine Bibel für Frauen. Und jetzt schreibt sie in ein Heft oder Büchlein. Das alles find ich richtig gut. Ein Grund weshalb ich gerne schreibe ist, es verlangsamt sich das Leben ein wenig, wenn man Gedanken zu Papier bringt. Man gewinnt Zeit zum Reflektieren.


Sehr gerne schreibe ich in Cafes



Nun, im Zentrum von San Jose gebe ich meine Beifahrerrolle auf, steige aus und stehe mitten in einem kleinen, versteckten Bergdorf, kühl ist es. Kein Wunder auf etwa 2200 m hier, der See liegt unten auf 1500 m, wo ich startete. Allerdings ist es der Wind, der die Fühltemperatur stark beeinflusst. Am Marktplatz schnappe ich mir zwei Karotten und eine rote Paprika, ich denke mir, gut möglich, dass heute lange nichts mehr hergeht auf der weiteren Strecke.


Terassenanbau wie vielfach auf der Welt. Es scheint eine der besten Anbauformen zu sein. Hier vielfach mit Zwiebeln bestellt. Aber Kartoffeln, Bohnen, Kraut, Tomaten, Mais sind ebenso dabei.

San Jose im Hochland Guatemalas auf weit über 2000 m Meereshöhe.


Mein Weg führt bergauf, an Zwiebeln vorbei, auch anderen Gemüseplantagen, das ein oder andere Tuktuk oder Moped sind am Weg, bis ich nach zügigem Fortschritt den ersten 'mirardor', Aussichtspunkt erreiche. Er ist ziemlich versteckt gelegen, bietet allerdings einen umso schöneren und weiten Ausblick über zwei Drittel des Sees. Hier befindet man sich hoch über Santa Cruz.


Einheimische Jungs erschrecken ihre Mädchen, die gerade mit einer Süßigkeit in der Hand vom Laden kommen. Alle lachen darauf. Ein Mädchen das wegen der Aufregung rückwärts zu mir unterwegs ist, wird dann gleich noch einmal vom Gringo Thomas erschrocken, den sie ebenso wenig erwartete. Alle lachen wieder laut. Ich grüße. Ihr Mund zeigt schön unregelmäßig angeordnete Zähne, ein Augenblick emotionaler Begegnung. Wäre gespannt wie sie meine Erscheinung beschreiben würde. Vielleicht mit großer Weißer mit noch größerer Nase und unregelmäßig nicht mehr allen Zähnen im Gebiss?


Blick nach Osten - unter den weißen Wolken in der Ferne die Vulkane Fuego und Acatenango


Zwei Frauen sitzen am Wegrand. Hinter ihnen riesige Bündel mit Brennholz. Sonntagsfrei machen sie heute nicht, sie warten auf alte Pickups, brauchen ihre Rast bitter nötig. Ich bin weiterhin recht flott auf dem Weg, erstens genug Strecke vor mir, zum anderen mein Rücken eher verschwitzt und es ist windig. Der Respekt mich zu verkühlen hängt mir im wahrsten Sinne des Wortes im feuchten Nacken. Genau dort entweicht unsere meister Wasserdampf. Ich passiere ein quellendes Brünnlein, herrlicher erfrischend, gar nur das Geräusch des plätschernden Wassers. Ich trinke diesmal aber nicht.


Die junge, lesende und schreibende Amerikanerin ist inzwischen verschwunden, spurlos sozusagen, ich verabsäumte ihr Aufbrechen. Die Familie die hinter ihr saß und noch immer dort sitzt, hat wieder ihre Krankenhaus Gesichtsmasken aufgezogen, nach ihrer Konsumation. Ich erspare mir ein weiteres Kommentieren dessen.


Hundertemale reparierte, voll beladene, alte Pickups und ein paar andere einspurige Fahrzeuge sind meine folgenden Passanten auf der groben Schotterpiste. Ausblicke über den See die sich ergeben sind mitunter atemberaubend. Nur die Monstervulkane Acatenango und Fuego sind in der Ferne in Wolken gehüllt. Ich bin mir sicher, dass Vulkan Fuego darunter seine übliche Pfeifenrauchaktivität verrichtet. In der Nacht gab es auch wieder ein Erdbeben der Stärke 4,5, das Epizentrum war diesmal weit im Landesinneren, andere Male ist es draußen am Pazifik. Am sogennanten 'ring of fire' auf dem wir uns hier befinden, tut sich immer irgendwo etwas.


Rechts oben, hinten liegt Santiago, zwischen den Vulkanen Atitlan und San Pedro


Ich gelange zum zweiten 'mirardor', der Wind bläst böig und frisch, im Lee der Gelländekante finde ich einen Platz an dem ich mich ausziehe und versuche die Oberbekleidung als auch mich in der Sonne zu trocknen. Gleichzeitig stärke ich mich und genieße die gute Aus-Rundum-und Fernsicht. Ich müsste jetzt fast am höchsten Punkt meiner Wanderung angekommen sein, es dürfte in der Folge hauptsächlich bergab führen.


Das tut's dann auch, etwa 900m hinunter nach Tzununa zum Bootssteg. Dabei kreuze ich manche der folgenden Straßenkehren in 'shortcuts' ab und überrasche manche einheimische Mayas beim Lehmhüttenbau. Ich denke mir, hier seid ihr wirklich die 'Unentdeckten'. An ihrer Mimik und Gestik erkenne ich, hier ist noch nie ein Gringo wie ich aufgetaucht. Bei diesen Streifzügen muss ich jedoch natürlich immer etwas aufpassen und wenigstens mit freundlicher Gastgesinnung ausgestattet grüßen. Doch wenn jemand überrascht wird, dann hilft auch das nicht, und schnell kann eine Situation entstanden sein, die herausfordernd ist.


Tief unten Tzununua und die Straße nach San Marcos erkennbar


Sehr bald müsste jetzt ein steiler, kehrenintensiver Pfad hinunter in die Tiefe kommen, sofern meine offline map recht hat. Ich freu mich darauf! Schlussendlich bin ich enttäuscht, denn inzwischen ist das kein Singeltrail mehr, sondern eine breit angelegte Piste, die in die Steilhänge maschinell hineingeschlagen wurde. Für Fahrzeuge irre steil teilweise, absolut grober und harter Schotteruntergrund, ich muss aufpassen nicht auszurutschen. Im Nachbarort, den ich als einen der verstecktesten am See überhaupt halte, klagt eine Frau durch ein Mikrofon, lange Zeit. Es hörte sich ursprünglich noch nach Dorffest an, aber inzwischen bin ich mir dessen nicht mehr sicher. Ein Kia Sportage steht quer in der groben Piste, ein Insasse bereits mit einem Koffer am Fahrbandrand. Die Frau am Steuer versucht den Wagen wenigstens zu retten. Die Räder drehen voll durch. Weiterhin aufwärts zu versuchen hat in dieser Lage keinen Zweck mehr.


Im weiteren Verlauf der angelegten Piste überquere ich Hangrutsche der Böschungen. Völlig klar, wenn man in diesem Terrain versucht eine Straße anzulegen, muss man sich im Klaren darüber sein, dass die größere Herausforderung die Instandhaltung als der Bau selbst ist. Jeder steile Schritt hinunter macht es wärmer, ich erreiche Tzununua, ziehe mich in einem Seitenweglein noch einmal um und freue mich bereits recht auf 'papas fritas'. Obwohl ich das Dorf bereits kenne und weiß, dass das gar nicht so einfach wird, habe ich Hunger und muss irgendetwas beißen, mein Zuckerhaushalt ist inzwischen zu tief gesunken für beste Laune.


Inzwischen sitzt ein Pärchen am Nachbartischchen, die Frau hat ein hübsches Gesicht. Sie ging gerade auf die 'banos'. Dafür zog sie sich die OP- Gesichtsmaske auf, kam damit zurück, und sitzt jetzt wieder bei ihrem Partner am Platz. Jetzt nimmt sie ihre Maske wieder ab und steckt sie ein. Ich erspare mir auch hier wieder ein weiteres Kommentar.


Fast ganz unten im Dorf sehe ich am linken Straßenrand eine Papas-Bude die in Betrieb zu sein scheint, viele andere oben im Zentrum waren es heute nicht. Dahinter ein junges Mädchen in Tracht. Ich begutachte die Chips, sie sehen halbwegs frisch und in Ordnung aus. Mir gefällt, dass der Stand allein von einem Mädchen betreut wird und bestelle eine kleine Portion warmer Pommes. Die Köchin gibt die besten auf so ein Styroportellerchen mit Salz und salsa dulce, also Ketchup. Zahnstocher hat sie keinen mehr. Ich nehme den Happen dankend entgegen und frage noch nach ihrem Namen. Sie antwortet: 'Maria!'

Mit Heißhunger versuche ich jetzt ein Plätzchen zum Sitzen zu finden, vergeblich in der chaotischen Umgebung. Wenigstens kann ich mich aber nun halb anlehnen und picke die Kartoffelstäbchen mit meinen Fingern auf. Die meisten sind warm, andere kalt, aber ich bekomme etwas in den Magen.


Marias Papas-Bude, die sie mit aller Ernsthaftigkeit einer Geschäftsfrau betreibt


Die ganze Zeit schon lässt mich Maria nicht aus den Augen. Ich merke ihr wäre lieber gewesen, dass ich gleich gezahlt hätte. Sie hat noch etwas zu holen, kommt zurück und schaut wieder ob ich eh noch da bin. Inzwischen bin ich fertig mit dem Magentratzer, gehe zur Bude und sage: 'Maria, ich habe heute kein Geld dabei.' Diese Aussage kam allerdings ganz schlecht an. Sie erwiderte sehr beunruhigt: 'Die papas sind kein Geschenk, was glaubst du eigentlich! Ich hole sofort meine Eltern!' Das Mädchen war sehr aufgebracht, ehe ich noch widersprach und 10 Quetzales auf den Kleintresen legte, war auch schon ihr Vater herbeigeeilt, aus dem Busch sozusagen. Er erkundigte sich bei ihrer Dienst habenden Tochter was Sache sei. Im gleichen Moment verließ ich auch schon das Geschehen , denn die Situation war mir zu emotional aufgeladen. Ich sah noch wie sich das Papas-Mädchen freute über das Doppelte an Geld was die Pommes eigentlich kosteten. Auch ohne diese nicht beabsichtigte Aufregung wollte ich ihr dieses Trinkgeld geben.


Ich dachte mir, pass auf, nicht immer ist es lustig. In Afrika bringen sie sich die Leute wegen 10 Cent um, und hier geht's auch beinhart zu. Nach außen immer alles easy-peasy und hinter den Kulissen ist es für viele ein knallhartes Geschäft so eine Familie hochzubringen. Ich habe Respekt davor, was Eltern leisten müssen. Da geht es einfach schlicht nur darum, dass es täglich zu essen gibt, fertig. Dafür müssen alle Kräfte mobilisiert werden.


Gast am Wegrand - Ich liebe Blumen und Blüten


Mein Boot zurück kämpfte sich heute durch ordentliche Wellen. Ich freute mich auf einen Kaffee in der Casa Cakchiquel, die hatte jedoch zu. So rettete ich mich heim, legte mich vorerst einmal ausgepowert bäuchlings auf's Bett, duschte anschließend heiß, um dann ins Cafe Te Quiero hier aufzubrechen.


Genau wo die junge, brünette Amerikanerin vorher saß, zieht nun eine junge Einheimische am Plastikstrohhalm aus einem transparenten Cocktailglas eine giftig-mintfarbene Flüssigkeit. Sie steckt nicht in Jesusschlapfen, nein, es sind weiße Nike Sneakers. Ihr linkes Knie ist völlig offen, obwohl sie eine lange schwarze Hose trägt. Ich weiß nicht wie lange sich dieser bescheuerte Fetzenjeanstrend noch hält. Mit beiden Händen gelichzeitig bedient sie ihr Smartphone. Dabei zutzelt sie weiter wie eine Biene ihren Saft aus dem Cocktailglas mit Stiel. Stil hat das für mich allerdings keinen, oder sagen wir, das ist der weitverbeitete Stil heute.


Mein Cappuchino ist längst leer. Mein Kopf nicht. Meine Schreibhand sollte allerdings Pause machen, finde ich. Danke, Sonntag, wirklich wieder genug erlebt!






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