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  • 5. Juli 2021
  • 9 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 16. Juli 2021


... auf spanisch 'vuelta', wörtlich, der Umkehrpunkt, der Rundgang, die Rückkehr


Nun, der Grund meiner Reise von Panajachel nach Antigua war eigentlich einzig und allein, dass ich mein neues Handy das schlecht funktionierte, in Antigua reklamieren wollte, natürlich genau dort wo ich es vor 4 Wochen erstanden hatte.


Ich dachte mir ursprünglich, ein weiter Weg plus dann noch mindestens ein, besser zwei Übernachtungen machen das Ganze zu einem etwas teuren Abenteuer. Außerdem musste ich damit rechnen, dass sich diese Handyprobleme deshalb auch nicht lösten, denn ich war davon überzeugt ein sogenanntes 'Montagshandy' erwischt zu haben, das einfach obwohl neu einen 'Hau' hat.


Andererseits mag ich Antigua gern und für Reisen bin ich eigentlich meistens zu haben. Schon in meiner Studienzeit und frühen Lehrerzeiten hockte ich stundenlang über Landkarten um Wander- und Mountainbikerouten auszuhecken, dabei konnte mir nie langweilig werden. Heute scrollt man auf diesen kleinen Smartphones herum und macht sich das Augenlicht damit auf Dauer kaputt, ich frage mich: Ist das Fortschritt?


Am Vortag fiel mir an einer Altstadtecke eine kleine Bücherei mit Caferestaurant auf, da wollte ich jetzt in der Früh hinein, hauptsächlich wegen einer guten Auswahl an Reiseführern, vielfach vom Mainstream Marktführer Lonely Planet. Gut, aber auch um einen Morgenkaffee zu trinken. Ganz toll sind diese Innenhöfe, lassen jede Menge Tageslicht hinein, man hatte früher einfach praktisch gedacht und mit Hausverstand gebaut, was mir sehr gefällt, das sind wichtige Werte.

Und los geht's! Ja, aber womit?!:-)


Während mein Cappuchino zubereitet wurde zupfte ich aus dem Bücherregal einen Centro America Reiseführer, einen über Guatemala und einen von El Salvador mit Nicaragua, alle drei von Lonely Planet. Noch ist der Planet ja nicht lonley, er wird es auch so schnell nicht sein, er lebt.


Was ich bei dieser Buchmarke immer schon richtig klasse fand, sind die 'Maps' auf den ersten Seiten, die das Gebiet übersichtlich in farbiger Landkarte zeigen und die sogenannten touristischen Highlights sind herausgezoomt. Dadurch hat man erstens eine geografische Orientierung und weiß aber auch wo es die meisten Touristen hinverschlägt, wenn sie dem Rat folgen und dem Reiseführer glauben. In der Folge gibt es im Führerbuch dann noch ein paar spärliche Farbseiten mit Fotos und massiv Informationen in meist sehr kleiner Schrift. Das spricht mich dann kaum mehr an.


In solchen Glücksfällen für mich wo eine Bücherei und ein Cafe eine Synergie ergeben, liegen dann meist mehrere Bücher auf meinem, ruhig auch mal, Couchtisch. Das erste Büchereicafe dieser Art entdeckte ich 2008 sehr weit im Süden Patagoniens in Puerto Natales glaub ich war es, nicht Punta Arenas. Ich war begeistert, hielt mich lange und immer wieder dort auf, es war sehr geräumig eingerichtet und auch eine gute Wetterflucht vor oft Wind und kühlen, nasskalten Temperaturen.


In jüngerer Vergangenheit war das in Puerto Escondido das Cafechoc. Es wurde mein Stammcafe diesen Frühling. Da man aber nicht mehr als ein Buch auf einmal begutachten kann, und davon genau eine Seite, dienen dann die anderen zurechtgelegten Bücher als Stapel die das Handy schön schräg aufgestellt halten.

El Salvador und Nicaragua farbig hervorgehoben


Diesen Morgen war ich etwas ungeordnet mit meinen Gedanken im Kopf, woran das genau lag, weiß ich nicht. Man steht auf und ist in einer Stimmung und drauf wie man eben drauf ist. Oftmals träume ich und diese Morgenträume begleiten mich die ersten Minuten, es können aber manchmal Stunden des neuen Tages sein. Jede Nacht ist wie ein Todeserlebnis. Jedes Aufwachen ist ein neues Geschenk an dich, das dir sagt: 'Du bist der schönste Tag meines Lebens!' Das ist zumindestens der Slogan von Matthias Langwasser.

Ich finde es gut den Tag so zu begrüßen und wertzuschätzen, auch wenn vielleicht noch der Morgenmuffel in den Knochen stecken mag.


Insgesamt wollte ich mich diesmal aber nicht überlange in dem Büchereicafe aufhalten, immerhin hatte ich eine mittellange Rückreise zum Lago Atitlan vor mir. Ich dachte mir, jetzt mache ich auf der Toilette noch mein Haar zurecht, nachdem mein Einzelzimmerchen des Hostals keinen Spiegel im Minibad hatte. Das geräumige WC des Cafes war sauber, was mich freute, dann musste ich aber laut lachen: Auch hier kein Spiegel über dem Waschbecken!


Ehrlich gesagt ist das mit den in den Spiegel schauen nicht mehr als eine schlechte Gewohnheit. Wenn ich länger auf Outdoor Erlebnissen unterwegs bin wird das 'Ohne Spiegel sein' zur Gewohnheit, auch bei den Mitreisenden, es wird selbstverständlich und man merkt wie gut der Seele tut, wenn man die Eitelkeit beiseite lässt und Äußerlichkeiten unwichtig werden.


Ich räumte die Mittelamerika- Führer wieder zurück ins Regal, wobei mir andere von der Transibirischen Eisenbahn und einer von Pakistan ins Auge stachen. Zurück im Hostal packte ich meinen kleinen Daypack fertig, machte mein Gesicht an Hand meines spiegelnden Handys zurecht, eine Technik die ich oft genug bei afrikansichen Frauen beobachtet habe. Rück- und Seitenspiegel von Autos und Motorrädern gehen genauso, wie auch etwa ein Schiefer eines Spiegels, ebenfalls in Afrika gesehn.


Das Neue an meiner ausgedachten Rückreiseroute sollte ein Besuch in Tecpan werden, etwas außerhalb der Stadt gibt es Iximche, eine archäologische Maya-Ruine. Der erste Bus hatte wieder Höllenmusik an Bord, ausweichen unmöglich, nur Ohrstöpsel von Oropax (Frieden für die Ohren) hätten das wohl etwas gelindert, doch eigentlich möcht' ich mir meine Sinne nicht künstlich vernebeln.

Busstart in Antigua


Endlich konnte ich in Chimaltenango aus dem Lärmmobil. Zwei Bananen schnappte ich mir noch im Vorbeigehn auf und landete auch schon im Anschlussbus, neues Vehikel, neues Glück. Und wirklich, nachdem mein zugedröhnter Gehörsinn wieder etwas regeneriert war, merkte ich: In diesem Bus herrscht ein ganz anderes Milieu, wenig Gäste, gedimmte Musik, wie angenehm, mein Reisender!


Dass diese Fahrt eine besondere werden sollte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht, wie auch, sie begann ja erst. Der Chauffeur war sehr energisch mit dem Steuer, dem langen Ganghebel und den Fußpedalen. Seinen Fahrstil konnte man sehr bald auch als aggressiv bezeichnen. Wir durchbrausten die Schnellstraße mit vollem Karacho. Wollten Fahrgäste raus oder rein, bei Stopps mussten sie sich sputen, sonst war der Koloss bereits wieder weg. Sogar der Schaffnerjunge war sich nicht immer sicher, ob er noch mitkonnte, wenn er gerade vom Dach kletterte, wo er Gepäck holte. Eine Militärrazzia passierten wir ungeschoren, das war mir auch recht, dabei kann nämlich nie Nützliches für uns herauskommen.


Ich ging davon aus, dass der Bus im Zentrum von Tecpan halten würde, war mir dann aber nicht mehr so sicher und hantelte mich im Bereich der Stadt den Gang nach vorne. Das Tempo war hoch. Ich hatte ja auch bis dorthin beim Schaffner bezahlt. Als ich bei ihm noch einmal nachhakte, meinte er, Tecpan ist bereits vorbei. Beim nächstmöglichen Stopp lassen wir dich raus. Das bedeutet, ich musste in die andere Richtung wieder zurück. Das Wetter schaute nicht freundlich aus und ich beschloss im Bus zu bleiben bis Los Encuentros, sein Endziel war ja sogar Xela, also Quetzaltenango, vielleicht noch 100 km weit entfernt.


Ich zahlte also drauf und platzierte mich wieder hinten in meiner Sitzbank. Andere Fahrgäste waren besorgt um mich, weil ich Tecpan verpasst hatte und wollten mir mit allen möglichen Optionen helfen, das fand ich rührend. Ich aber meinte, alles gut ich fahre jetzt bis Los Encuentros, kein Problem. Jetzt wurde die Route noch kurvenreicher, zwar immer zweispurig, aber auf und ab und eben ständig unübersichtliche und scharfe Kurven, eine Achterbahnfahrt.


Das schien dem Fahrer noch mehr zu gefallen und er fuhr noch waghalsiger. Meine Füße hielt ich gespreizt am Boden, wie eine Krake, die Hände weit auseinander fest an an die Reling der 'Blue Bird' Sitzbank geklammert, wie ein Greifaffe. Zugegeben, das war die beste Stabilisation, trotzdem schob es mich hin und her auf der Kunsstoffbank.

Im Chickenbus der Rally fuhr


Ich kam mir vor wie der Copilot eines Rallyfahrers, aber auch die anderen Fahrgäste drifteten hin und her. Im Bus befanden sich durchwegs junge Leute, wer nicht fit war, hätte sich glatt schon auch ohne Unfall im Bus verletzt. Weder Fahrer noch Schaffner machten Anstalten um Fahrgäste zu buhlen oder welche rücksichtsvoll aussteigen zu lassen.


Ich weiß nicht in welcher Mission sie unterwegs waren, aber Profitgedanken hatten sie heute wenig. Die Strecke zieht sich in einer Höhe zwischen 2000 und 2600 m dahin, Luft hatten wir genügend auf dem Horrortrip, aber eben auch Angst, es konnte jeder Zeit ein Crash passieren, alle Zutaten dafür waren vorhanden. Ich überlegte nach vorne zu gehen um den Fahrer zu ermahnen, aber in Wirklichkeit hätte ich es nicht geschafft, man musste sich im Sitz festklammern wie ein Gecko.


Mein Rücknachbar war interessiert an Konversation, auch er entsetzte sich über die völlig gefährliche Raserei. Ich fragte ihn noch, ob er glaube, dass der Raser in Los Encuentros Halt machen würde, er erwiderte, wohl nicht. Da ich meinen neuen Zielort nicht wieder verpassen wollte griff ich mich so sicher wie möglich durch den Gang nach vorne. Ich hab noch wenige Crews gesehen denen das Wohl der Fahrgäste so egal war, wie hier. Ich stolperte hinaus und teilte dem Schaffner noch mit, was ich eigentlich dem Fahrer stecken wollte: 'Ihr fährt völlig verantwortungslos und gefährlich, das ist Wahnsinn!' Er nickte nur mit seinem Kopf.


Ich wusste nicht was er damit genau meinte. Entweder, ist mir egal, oder, ja, ich weiß, aber ich kann selbst nichts machen. Er musste teilweise ja selbst zusehen, dass er immer im Bus verblieb. Ich dankte allen meinen Engeln gesund ausgestiegen zu sein und betete für die restlichen Fahrgäste bei ihrer weiteren Rally. Ich schlug einen Seitenweg ein und ging einfach los, weg von der Hauptstraße, weg vom Lärm. Mein Kopf voll Noradrenalin und Schock, mein Körper völlig mitgenommen. Ich wollte und musste wieder in die Ruhe kommen, das konnte ich nur mit Gehen erreichen. Bald hörte ich die Straße fast nicht mehr, ganz langsam kam ich wieder richtig zu mir. Das Ganze war so gefährlich gewesen!


Unterhalb meines Weges waren zottelige Schafe, sauberere und dreckigerere, helle und dunklere. Drei Frauen, ältere, hüteten sie. Es mögen Schwestern gewesen, absolut indigen, mit kleinen Hüten auf ihren gezopften Haaren. Ich fühlte mich archaisch zurückversetzt. So ähnlich musste das Leben hier 50 oder 100 Jahre früher ausgesehen haben, und Hunderte Jahre vorher genauso. Als ich durch meine neue Umgebung etwas heruntergekommen war in meinem Kopf und mein Körper Ablenkung brauchte, schnappte ich mir 'papas fritas' am Weg. Eine Brettbank half mir mich zu platzieren und die Kartoffelstäbchen genüsslich zu verzehren. Das tat gut, sie waren frisch zubereitet und warm.


Noch das ein oder andere Zuckerl an Kinder loswerdend schlenderte ich zurück in Richtung Hauptverkehrsweg, überquerte diesen, kam zur Markthalle und gegenüber sogar zur Kirche des Ortes. Meine Neugierde zog mich hinein ins Gotteshaus, sehr hell innen, zur Abwechslung das Gestühl mal aus hellerem Holz. Ein paar Frauen waren auf ihren Knien betend, ja sogar klagend. Einmal schlurften sie nach vorne zum Altar, einmal nach hinten, langsam, klar, das geht schwer schnell.


Mich erinnerte das an Tibet und die Kora die um den den heiligen Berg Kailash gemacht wird mit ständigem Hinknien, Hinfallen und Beten bis er umrundet ist. Als formschöner, wuchtiger Berg wird er von Bergsteigern auch sehr angebeten, aber eine Besteigung ist verboten. Tibeter, Buddhisten, Hindus und manche Touristen praktizieren die heilige Kora. Hier sind es Christen die sich selbstgewollt erniedrigen vor Höherem. Die ritualen Bewegungen wurden in der Kirche von Los Encuentros von Seufzen und Klagen begleitet.


Für mich in der Indiokultur neu. Ein Mädchen saß in der hintersten, letzten Stuhlbank und war so mit ihrem Handy beschäftigt, dass nicht einmal ich als Gringo ihre Aufmerksamkeit erregen konnte. Entweder hatte sie sich der Ruhe wegen absichtlich in die Kirche begeben um relativ ungestört zu sein, oder aber eine der Frauen die klagebetete war ihre Mutter, Tante oder Großmutter. Noch anderes ist natürlich auch möglich. Ich beschreibe es nur so wie es auf mich gewirkt hat, ich habe sie nicht angesprochen.


Bei dieser Vermischung von alten Maya- Traditionen und christlichen Sitten konnte mich das Ritual nicht ganz verwundern, trotzdem, ich war gebannt. Und klar, die Klagerei ist nicht wirklich stimmungsfördernd auf Dauer, weshalb ich das Gotteshaus nach diesem Eindruck wieder verließ. Nicht jedoch rückwärts trieb es mich hinaus, nein vorwärts, der Nase nach, wie immer. So sind meine Sinne am gewohntesten und besten ausgerichtet. Auch machte ich keine Kniebeuge vor dem Verlassen des religiösen Zentrums, meine Mutter möge es mir verzeihen.


Ich war überrascht von diesem Los Encuentros abseits des quirligen Verkehrsgeschehens, ein völlig normales Dorf, wunderbar. Der einzige Bus der vor der Einstiegstür einen Ständer mit Temperaturmessgerät positioniert hatte und einen vermummten Typen mit der Handgelpulle, war der den ich jetzt brauchte , nach Solola. Mir war das nicht neu, kannte diesen Umstand bereits von vergangener Woche. Ich beobachtete das Geschehen rund um den Bus aus verschiedenen Perspektiven sehr genau und schlüpfte irgendwann in der Tat ohne beide Zwangsbeglückungen bei der Fahrertür hinein.


Dies gelang mir bereits letzte Woche mit Glück, ich war froh. Im Leerlauf ließ der 'chofer' den langen, gelben Schulbus die Schnellstraße hinunterrollen. Ich war wenig amüsiert davon, die Bremsen quietschten sowieso schon. Bei der Einfahrtsstraße nach Solola wechselte er Gott sei Dank auf den Motor um, es ging mir besser damit. Wieder stieg ich am Ortsanfang aus und bremste meinen Körper langsam hinab ins Zentrum. In einer Seitenstraße schoss mir ein kleines Cafe ins Auge, in dem Hocker und Tischchen aufgestellt waren, die sich als gemütlich genug zum Schreiben herausstellen sollten.


Eine der beiden Frauen im Service hinkte ziemlich, weil sie einen ordentlich kürzeren Fuß hatte. Auch mein rechtes Bein ist gut 1cm kürzer als das linke. Das bemerkt man als Außenstehender aber nur wenn man's weiß. Nach einigen Seiten Niederschrift verließ ich das für mich neue Cafe und wechselte ins Zentrum um noch einmal Platz in einer kleinen Pizzeria zu nehmen. Dort zog ich mich wärmer an, denn kühler Nebel umhüllte Solola inzwischen.

Von der Bergstraße aus hinunter nach Panajachel


Hinunter nach Panajachel wurde mir im letzten Chickenbus des Tages wieder warm. Unten angekommen öffnete ich den Reißverschluss meiner Fleecejacke und war willkommen geheißen von meiner vorübergehenden Heimat am See. In der angenehm lauen Luft spazierte ich zu meiner Wohnung und war somit wieder am Ausgangspunkt angekommen, gesund und mit diversen Erlebnissen angereichert.


Ida y vuelta, Hin- und Rückreise waren somit abgeschlossen, genauso wie der Juni Anno Domini 2021.



 
  • 3. Juli 2021
  • 8 Min. Lesezeit

Los ging's mit einem der kleineren 'School buses' am Terminal von Antigua. Schön kastenförmig und noch in 'original' gelb gehalten, unaufgetuned, so wie aus den USA vor etlichen Jahren importiert. Was ich mich frage, haben sie diese ganzen gebrauchten Chicken - Busse aus den US-Bundesstaaten alle heruntergefahren nach Guatemala, oder teils doch verschifft?




Die in Kolumbien in manchen Städten herumfahren müssen sie aber verschifft haben aus Nordamerika, denn die Landbrücke zwischen Panama und Kolumbien, der 'Darien gap' , 'Tapon del Darien' ist nicht durchfahrbar, der Panama - Kanal selbst müsste über Brücken überwindbar sein. Dieses Stück auf der Panamericana von Alaska bis Feuerland fehlt also bisweilen.


Ich nahm hinten im letzten Sitz Platz, wieder war quersitzen angesagt, Knie am Gang und direkt hinter mir die rückseitige Tür, ich liebe so einen Ausgang. Rein kann man natürlich genauso von hinten, eh klar. Es ist wie beim Flieger, wenn man plötzlich auch hinten raus kann, oder hinten rein darf, genial.


Über das holprige Steinpflaster ging's los mit einigen Stopps durch das Zentrum der alten Hauptstadt des Mayalandes. Bald darauf dann aufwärts in Windungen und zur Abwechslung teils sogar gute Musik an Bord, ich schätzte es sehr.


Bereits im Bereich des Ortseingangs der Bergmetropole verließ ich den Schulbus, genau bei den Waschweibern, die bereits voll beim Arbeiten waren, plus Mädchen. Obwohl mich dieses Treiben an den Waschbrunnen sehr interessiert sparte ich mir dermal einen Aufenthalt. Wie ein Straßenköter oder Landstreicher trottete ich meiner Nase nach, etwas anderes geht ja gar nicht. Die Uhrzeit ist mir dabei völlig egal, ich trage auch nur wenn's der Beruf verlangt so ein männliches Statussymbol. Zu sehr lenkt mich so etwas ab.


Bald bog ich einen Seitenweg ab, zuerst war er noch flach, dann jedoch führte dieser stetig und schlussendlich steil bergauf. Der Mais links und rechts von mir war bereits höher als mannshoch, alles sattgrün, in der Nacht hatte es ja wieder einmal geregnet. Ein Gaul und ein Bauer waren im Feld auszumachen, nur halb so hoch wie die Maisstängel waren sie im Zentrum meines Durchblicks. Weiter oben niederere Mais, viele dunkelbraunen, ja teils schwarzen Erdfurchen auf denen die Campesinos meist Friqoles, also Bohnen anpflanzen im Mix mit Mais eben. Die Erde selbst war noch feucht vom Nass der Nacht. Beides, der Mais und die Bohnen kommen in verschiedenen Farben gereift auf den Markt, ein Bild der Fülle bietet sich dort.




Ein anderer wunderschön mittelbrauner Gaul, sehr mageres Pferd war in der steilen Böschung an einem Strick angebunden, nahm aber Kenntnis von mir. Diese Maultiere helfen den Campesinos hier als Tragtiere, sind also sehr, sehr nützlich. Der Nutzen ist die Arbeitserleichterung, wie seit eh und je. Wenn ich das heutzutage etwa in Marokko oder Nepal beobachte, dann ist mir völlig klar wie sinnvoll das Lastentier ist. Es braucht kein Öl für einen Motor aufwändig gefördert zu werden, es gibt keine kaputte Karosse wenn es vorbei ist die nicht mehr verrottet, das Pferd frisst das was es am Weg findet und was man zufüttert und schleppt eben Lasten, die der Mensch dann eben nicht zu tragen hat. Hier aber schuften die Leute auch heute noch wie in der westlichen Welt früher. Der Blick in Richtung Ortszentrum war gut, Vulkan Agua dahinter zierte sich heute aber und war meistens sehr wolkenverhangen.


Jetzt trieb mich meine Hundenase in weitere Seitengässchen und ich begutachtete manche Behausung, man könnte auch 'Slumhütten' dazu sagen. Wellblech, manches nagelneu, vieles aber älter bis durchgerostet dient dabei eigentlich für alles. Sicher als klassisches Dach, klar, aber auchgenauso als Seitenwand, Tür, Verschlag und mehr. Man muss auf die scharfen Kanten des welligen Gesellen manchmal sehr achtgeben, sonst verletzt man sich böse. Aufgehängte Wäsche, freilaufende oder angebundene Köter, Babygeschrei oder Radiomusik lassen ein Gefühl von Heimeligkeit aufkommen.




Eine ähnliche Wohlfühlatmosphäre habe ich z.B. auch in Slums von Rio de Janeiro vor 5 Jahren gespürt. Viele Menschen lieben ihre Behausungen und fühlen sich wohl dort. Slums haben einen teils viel zu schlechten Ruf. Diese hier sind in einer herrlichen Gegend, äußerst fruchtbares Land, frische Luft, etwas Unordnung halt plus Zivilisationsmüll auch überall auf den Feldern. Aber ich gehe davon aus, eine funktionierende Dorfgemeinschaft und von außen eine heile Welt, die es natürlich in der Wirklichkeit nicht gibt. Ich machte kurze Videos von den 'heimeligen' Behausungen. Besonders gefiel mir ein weißer Kanister der mit 'Buzon' beschriftet war, also Briefkasten mit einer ausgeschnittenen Frontöffnung mit Klappe versehen, für den Posteingang.


Zurück aus dem Labyrinth sprach ich spontan den Maisbauern an mit 'In lak ech!' Ich wollte diese Mayagrußformel in der Praxis ausprobieren, ich hatte sie nämlich aus dem Netz. Sie bedeutet so viel wie: 'Ich bin du und du bist ich!' oder 'Du bist mein anderes Ich!'

Nun, der Bauer grüßte ebenso und erzählte, dass sein Pferd 7 Jahre alt sei, ihm das Feld hier aber auch andere gehörten und er nicht nur ein paar Mal am Hausberg Agua oben gewesen war, sondern auch einmal am Meer, am Pazifik. Während sein Gaul am Boden mit seinem Gebiss Maisstängel zermalmte teilte ich ihm mit, dass ich zuvor mehrere Monate in Mexiko gewesen war und jetzt seit einem Monat in Guatemala, was mir gut gefalle. Ich versicherte mich auch wann der Mais reif würde und wie oft dieser geerntet würde hier.


Freundlich verabschiedeten wir uns, und tatsächlich, 'Ich war er und er war ich.' bei dieser Unterhaltung. Die friedliche und gute Art der allermeisten Mittelamerikaner die ich kennegelernt habe fasziniert mich so, diese Höflichkeit, diese Manieren, davon bin ich wirklich begeistert, immer wieder angetan davon und trotzdem allemal positiv überrascht.


Am erweiterten Ortszentrumsende führte ein Weg leicht bergab, ich sah zwei Männer arbeiten, wie sich herausstellte war es einer der kommunalen Müllplatze, 'lugar de basura' auf Spanisch. Direkt daneben etwas erhöht ein kleines Plateau mit einem ausrangierten Chicken-Bus und einer herrlichen Aussicht in einen Krater voller Landwirtschaft, den man ruhig als Acker Gottes bezeichnen könnte. Alles grün, bestens gedeihend mit einigen Feldarbeitern in Aktion. Mich erinnert diese Gegend sehr an den Süden Ugandas, die Virunga Mountain range. Eine vulkanige, hügelige Landschaft mit teils bis zu vier, oft aber drei Ernten im Jahr, ein Paradies des Wachstums und der Fülle.


Nachdem ich mich sattgesehen hatte, stolperte ich fast über veräußerte Kinderwindeln, diese Plastikwattepäckchen mit Inhalt verrotten langsamer als es gut wäre. Ich bin auf den Reisen dieses Jahrhunderts auf keine Mutter mehr gestoßen, die Stoffwindeln für ihr Kleinkind verwendet und diese regelmäßig auswäscht. So wie das meine Mutter bei uns Kindern noch tat. Das soll nicht heißen, dass es das gar nicht mehr gibt, ich komm ja nicht in jede Ecke dieser Welt. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass das die natürlichste und biologischte Art ist, die wieder auftauchen wird.


Nun denn, ich bog um zwei Ecken und ein etwa 10 jähriger Bub schob einen beladenen Schubkarren aufwärts auf mich zu. Den Moment musste er die Last auch schon wieder absetzen, denn er hatte sich eindeutig übernommen mit der Schwere. Zwei andere Kumpanen folgten ihm, je um einiges jünger, nicht arbeitend. Denen steckte ich jeweils ein Menta-Bonbon zu, sie freuten sich und lachten. Aber auch dem halbstarken Arbeiterjüngling gab ich eins, er nahm es etwas verlegen an. Vielleicht wollte er mir mit seiner Schubkraft imponieren und beweisen wie stark er schon ist und war schlussendlich von sich selbst etwas enttäuscht in dem Moment. Die zwei Kleinen verrieten mir ihre Namen, der Jüngste nannte sich Pablo, der Mittlere Jose und der Schubkarrenmeister William. Da musste ich noch einmal nachhaken bevor ich mir sicher war.


Die zwei kleinen Stöpsel machten meinen Tag - in der schwarzen Plastiktasche war ein noch lebendiges Meerestier das sich immer einmal wieder etwas bewegte - gruselig für die Kleinjungs - absolut sensationell - das Mädchen versuchte die zwei zu beruhigen - aber die Burschen waren immer wieder fasziniert von der Lebendigkeit der Tüte - es war der Gag des ganzen Marktgeschehens


Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ja auch hier Vorbild und so vergeben die Familien auch gerne englische Namen, an Stelle von klassichen Mayanamen. Die ganze Gasse entlang war inzwischen schon Gringoalarm, weil ich durchmarschierte. Neugierige Gesichter auf beiden Seiten, von den Einheimischen, als auch von mir. Dann tauchte ein Bub in mittlerer Entfernung mitten auf der Straße auf, und platschte dort durch wo die große Wasserlacke am tiefsten war, ich musste innerlich lachen. Ich suchte links oder rechts davon einen trockenen Streifen, war aber kaum möglich und sprach ihn an: 'Du liebst Fußball?', fragte ich. 'Ja, klar!', er zu mir. Er hatte nämlich Fußballschuhe an. 'Du kommst von der Schule?', fragte ich weiter. 'Si, signor!', antwortete er. 'Gehst du gerne zur Schule?', fragte ich. 'Ja!', meinte er. 'Wie viele Tage pro Woche bist du dort?' 'Lunes a Viernes.' Also fünf. 'Welchen Fußballer magst du besonders?', fuhr ich fort. Der Bursche erwiderte: 'Barca.' Gut, da verriet er mir seinen Lieblings Fußballverein, FC Barcelona aus Spanien, ein halbes Missverständnis also.


Ich fühlte mich durch diese ganze Begegnung etwas an meine Schulzeit erinnert, oder besser den Schulweg. Sein Hose war natürlich dreckig geworden. Das hätte meine Mutter damals nicht geduldet. Sie war teilweise sehr streng. Es war gut so wie es war. Seine Mutter kannte ich nicht.


Meine Runde zielte langsam auf das Ortszentrum mit Marktplatz und Kirche zu. Es tauchte ein Mann auf der gebückt ging und drei volle Säcke am Buckel hatte. Zwei hätte wohl noch gut geklappt, der dritte und das Gesamtgewicht brachte den zähen, alten Mann aber immer wieder ordentlich aus dem Gleichgewicht. Deshalb musste er immer wieder einmal Halt machen, absetzen, rasten und seine Bündel neu justieren. Ich wollte ihm eigentlich mit einem Sack helfen, ich überlegte. Andererseits wollte ich als Gringo nicht noch mehr als ohnehin schon auffallen und hier zum Samariter des Dorfes werden, und ließ es bleiben.

Superschwer schleppenden Leuten begegne ich hier jeden Tag. Jedem helfen zu wollen wäre einmal ein interessantes Experiment. Dann würde ich sehen wie verweichlicht ich wirklich bin.



Nun, ich erreichte das Marktzentrum, der Wind blies etwas scharf, wollte mich auf der Kirchen Außenbank in die Sonne setzen, aber der Bereich war heute abgeschlossen. So wurden es die Stufen davor. Es wurde zunehmend lebendiger als sich ein Straßenverkäufer direkt vor mir am Platz positionierte und Gesichtsmasken anbot, 50 Stück für 10 Quetzales. Nach etwa 15 Minuten verkaufte er die erste Packung aus seinem großen Sack. Sein Freund hatte eine lange Rolle Plastikfolie im Angebot. Mit einem geschickten Handgriff zupfte er so an der Folie, dass eine Art klatschendes Geräusch entstand. Ich fand beides recht originell, das markante Geräusch und den jungen Typen mit Baseballkappe, der gut gelaunt drauf war.


Als er sein erstes Geschäft an diesem Platz machte, rollte er so viel Nylon wie verlangt von seiner langen Kartonrolle, zupfte eine Schere aus seiner hinteren, linken, weit unten hängenden Gesäßhosentasche und ein Maßband baumelte auch plötzlich um seinen Hals. Er nahm das gewünschte Maß ab und schnitt das Plastik hinunter. Nicht so ganz einfach hier im Stand, eine halbe Turnübung. Deshalb unterstützte ihn sein Maskenfreund etwas dabei. Danach war das relativ große Nylon aber noch zu falten um es der Käuferin zu übergeben. Das wurde etwas akrobatischer, aber jetzt kam sein Planenverkäufer Konkurrent und gab ihm gelenk Hilfe. Vorher hatten sie sich noch geneckt, nun gab's Teamwork. Das gefiel mir, die Stimmung war heiter.


Die feste Auftraggeberin in traditioneller Tracht war seit dem Beginn des Deals am Telefonieren, sie zahlte auch noch so, klemmte ihre gekaufte, gefaltene, transparente Folie unter ihre linke Achsel und setzte ihren Marktauftritt telefonierend fort. Auf der einen Seite imponierte mir wie sie diesen Einkauf mit 'links' tätigte, die rechte Hand war ja mit Telefonieren beschäftigt. Andererseits finde ich diese Art von Shopping charakteristisch für unsere Zeit, unhöflich, unkonzentriert und definitv nicht nachahmenswert. Ich weiß nicht genau wer den Begriff 'Multitasking' lanciert hat, allerdings finde ich ihn für absolut unzutreffend und nicht konform gehend mit den menschlichen Fähigkeiten. Denn auf zwei oder mehrere Dinge kann sich das menschliche Gehirn nicht gleichzeitig gut konzentrieren.


Rund eine halbe Stunde später nachdem ich mich ein wenig gestärkt hatte, beobachtete ich am Marktbrunnenplatz wie der Maskenverkäufer von vorhin zwei Kartons in den Mülleimer quetschte. Er hatte sonst nichts mehr dabei. Ich sprach ihn an und fragte: 'Hast du alle deine Packungen verkauft?' Er meinte froh: 'Ja, alles weg, welch ein Glück, Gottlob!' Ich konnte das kaum glauben, er auch fast nicht. 'Du bist nicht täglich hier, oder?', fragte ich weiter. Der junge Mann: 'Nein, ich wechsle Orte!' Ich fügte hinzu: 'Ich glaube das macht den Erfolg aus!' Er stimmte mir zu.


Später im gelben Ami-Schulbus hinunter nach Antigua stiegen er und sein Nylonfolien- Freund in denselben Transport in dem ich bereits saß. Es war wieder ein schönes Erlebnis in Santa Maria de Jesus. Ich war inzwischen bereits das dritte Mal hier in diesem besonderen Höhenort an den fruchtbaren Flanken des Stratovulkanes Agua, das noch sehr traditionelles guatemaltekisches Landleben vermittelt.


Habe ich Post heute?







 
  • 1. Juli 2021
  • 7 Min. Lesezeit

...auf Spanisch;-)


Es regnet. Woher ich das weiß?

Ich höre es auf das Dach prasseln. So mittlere Stärke, gleichmäßig. Was mich immer fasziniert ist vor dem Regen, bei Tag. Meistens verdüstert sich ganz langsam die Helligkeit und intuitiv wissen wir sehr genau wann die ersten Tropfen fallen werden. Allein wenn man daran denkt, das kann bereits das Einsetzen des Regens sein.


Ich bin grundsätzlich sehr helligkeitsbedürftig, man kann es genauso als empfindlich bezeichnen. Ein lieber Studienkollege hat mich in diesem Kontext einmal in Cambridge den 'Illuminator' genannt. Damit meinte er, ich müsse im Haus, im Raum immer die genau passende Helligkeit für mich haben. Wenn Glühbirnen und Lichtquellen zu grell, zu hell, zu weiß oder eben das Gegenteil zu dunkel sind, ändere ich das wenn möglich umgehend.

Wenn ein Raum kein Fenster hat und somit eben kein Tageslicht, ist es für mich passend.


Ich komme gerade vom Lago Atitlan, inzwischen ist später Nachmittag. Habe eine etwa fünfstündige Tagesreise hinter mir. Zuerst wanderte ich zum Bootssteg in Pana, herrlicher Morgen, Sonnenschein. Ich stieg in das Boot nach San Lucas, warten war angesagt. Halbvoll mit Passagieren legte es los, am Hauptsteg stieg dann unerwartet noch eine Familie mit ihren 3 Generationen zu. Der Jüngste von ihnen, ein etwas ungelenker Bub, saß vorne im Bug und freute sich über diese Poleposition, wie es üblicherweise genau ich auch tue;-)


Anschwappen auf San Lucas - der Motor wird abgestellt und wir gleiten wie eine landende Ente butterweich in Richtung Steg


In San Lucas fand ich nicht gleich meinen nächsten Transport, irrte etwas durch die Gassen bis ich in einem roten Kombi zu sitzen kam, der darauf recht bald lostuckerte. Der Zielort hieß Patulul, ich ließ ich mich aufklären, etwa 30 km in südlicher Richtung wie meine offline Handy App mir mitteilte. Ich bin mit solchen Kombis allein in Afrika schon X-Male gefahren, in Ostafrika nennt man sie Matatu oder Dallala. Dazu allein könnte ich sehr viele Geschichten schreiben, mit vielen Emotionen meinerseits. Dieser Kleinbus hier wurde ortsausgangs doch so voll, dass Kunden stehen mussten. Wäre ich aufgestanden, hätte meine Schulter die Decke berührt. Für einen durchschnittlichen Mittelamerikaner geht sich Stehen sauber aus, er kann den Kopf aufrecht halten.


Im Kombi - scharf wurde diese Innenaufnahme nicht - die Flucht nach außen wäre immer wieder möglich gewesen


Die Fahrt ging permanent mäßig steil bergab, den Vulkanflanken des Atitlan verlaufend. Viele Stopps und scheußliche und laute Musik mit diesen Blechblasinstrumenten, die sich teils anhören als wenn man einem Luftballon am Hals auseinanderziehend die Luft auslässt, plus mitmenschliche Gesäßbacken fast im Gesicht, verhalfen meiner Montagsstimmung zu keinem Höhenflug. Obwohl ich mich auf die 'Ida', also Hinreise und diese Exkursion schon etliche Tage wirklich freute, so wie oft wenn ich auf Reise gehe.


In Patulul flüchtete ich dann knapp vor dem Terminal aus der roten Zwangsdisco und war schon überrascht wie warm es hier war, ich schätze mittlerweile auf etwa 1000 m Meereshöhe. Das Internet verbessert mich gerade auf gut 300 m, das erklärt die leichte Hitze, ich hab mich also ordentlich getäuscht und wir waren 1200 m Tiefenmeter hinuntergebraust vom See aus. In Autobussen bekommt man Höhenunterschiede weit weniger gut mit, als wenn man zu Fuß oder mit dem Fahrrad die Gegend durchstreift. Jede andere Art des Reisens ist ganz einfach zu schnell. Was sich für mich in diesem Provinznest ausging war Wasser zu lassen und meine 2 Bananen zu verschlingen die ich noch von daheim mithatte.


Im neuen Chicken-Bus, der Guatemala City zum Ziel hatte, saß ich nun im vorletzten Sitz. Eigentlich mein jahrelanger Lieblingsplatz im Bus, was sich während meiner Schulzeit festigen konnte. In diesen alten Ami-Schul-Bussen sind die Sitzbänke jedoch teils in so engen Abständen angeschraubt, dass ich dieses Mal ganz schräg sitzen musste, meine Knie im Gang positioniert. Dieser selbst ist auch nur circa 20 cm breit, besser ausgedrückt, schmal und beim Durchschlängeln muss man seitlich tänzelnd passieren.



Auf nach Escuintla in meinem 'aisle-seat'


Die Strecke vor uns etwa 70 km angeblich, nach Esquintla. Es ging bald auf die Hauptstraße die in Topzustand war, man kann sie wirklich beinahe als gute Autobahn bezeichnen. In meinen 'aisle seat' wie man im Flugzeug sagen würde zum Gangsitz, nickte ich nicht ganz so schnell ein, wie manch anderer Fahrgast, der dieses Einknicken des Oberkörpers perfekt und unwillkürlich zelebrierte, wenn diese berüchtigte Bustransportmüdigkeit zuschlägt. Manch einen erfasst diese Reiselungerstellung sofort nach dem Einsteigen, sobald sich das Vehikel in Bewegung setzt. Mir ist für dieses Tagträumen allermeistens die verpasste Landschaft zu schade, die ich sehen möchte.


Der Bus glitt immer einmal wieder von der Hauptbahn ab um in nahen Orten entlang der Route Passagiere aufzunehmen oder eben abzuladen. Das Tempo war flott, die Wärme gut und Esquintla relativ rasch erreicht. Wir querten vorher noch die mächtige Furche vom Riesenvulkan Agua kommend in der Bäche bis hinunter zum Pazifik fließen.

Irgendwo mitten im neuen Zielort hieß es raus für mich, denn heute wollte ich ja nicht in die aktuelle Hauptstadt. Draußen versuchte ich mich zu orientieren, es war nicht ganz so einfach das nächste Terminal nach Antigua auszumachen.



Irgendwo im Ortstzentrum von Escuintla


Arg beeilen wollte ich mich aber ohnehin nicht, außerdem verpflanzte mich die Mittagszeit in eine kleine Essensstätte, wo ich Reis, zwei Tortillas, einen frischen Saft einen Stuhl und Tisch bekam. Das Leckerste war der Saft, zu dem mich der beleibte Wir eh nur überredet hatte. Mein gegenüber sitzender Genosse war wieder superfreundlich, ich staune hier in Mittelamerika, das kann man mit Afrika nicht vergleichen. Die Zentralamerikaner haben grundsätzlich beste Sitten, Hut ab!


Nach dem Imbiss sollte ich also meinen nächsten und wohl letzten Bus für heute finden via Alotenango nach Antigua. Das gelang mir auch, ich hielt ihn auf der Straße auf, der Kondukteur meinte nur forsch 'adelante' was so viel wie bedeutet wie 'mach weiter'. Ich dachte mir: 'Du stresst mich nicht unnötig mit dieser künstlichen Hektik!' Sie ist unangebracht, und ich schätze sie nicht. Sehr wenige Leute saßen bereits im Bus, der Grund wohl, er startete eben erst hier in Esquintla hier. Die Strecke ging jetzt bergauf, wen wundert's, nach diesem Höhenverlust vom Vormittag hinunter zur Panamericana musste jetzt wieder Höhe gemacht werden ins Hochland der Sierra.


Wieder war Lärmmusik angesagt, aber vor allem war die Fahrweise des Chauffeurs so hektisch und gefährlich, dass sich ein Wohlgefühl nicht einstellen konnte. Ich erhoffte mir den Riesenvulkan Agua nun erstmals vom Süden her zu erspähen, aber Wolken hüllten den Giganten ein, Blitze kreuzten auf, gefolgt von Donner und einsetzendem Regen. Der Schaffner klappte alle restlichen offenen Fenster des Transporters hinauf, nur mehr die vordere Bustür blieb offen. Der Fahrstil war so unnötig hektisch, jeder Fahrgast bekam die massive Unruhe des verantwortungslosen Lenkers mit. Er überholte riskant, sogar in Rechtskurven, wohlgemerkt bei Regen auch noch. Es war ein mulmiges Gefühl, verdammt ungut.


In Alotenango war der Scheibenwischer immer noch beschäftigt und die Trockenlappen der Verantwortlichen feucht oder nass vom zusätzlichen Putzen um freiere Sicht zu gewährleisten. Leider war eben der massive Schichtvulkan in dichten Wolken als wir Antigua erreichten, vorher passierten wir noch Antigua Vieja. Ich sprang heilfroh aus diesem Chicken-Bus. Regen war jedoch weiterer Begleiter, so stand ich erst einmal mit anderen Schutzsuchenden unter einem Vordach des Terminals. Ich bereitete mich und meinen Rucksack für einen Regenspaziergang vor.


Das Ziel meines Besuches in Antigua im Blick, steuerte ich zum Marktstand, wo ich vor Wochen mein Handy gekauft hatte. Ich schob eine Plastikkiste mit Handy-Hüllen am Boden so zur Seite, dass ich unter dem kleinen Vordach des Ständchens Regenschutz hatte. Der eloquente Verkäufer hatte jetzt Zeit für mich gefunden, nachdem er einen anderen Telefoninteressenten bedient hatte.


Da der Regen auch nach meiner Reklamation weiterarbeitete, suchte ich im Inneren der zusammengebastelten Markthalle einen chinesischen Plastikhocker auf dem mein immer noch trockener Hintern zum größten Teil Platz fand. Gereicht wurde mir eine Schale Milchkaffee mit Zucker, die Budenfrau meinte, alles schon fix und fertig gerührt. Ich zückte jetzt mein grünes Notizbuch und begann den bisherigen Tag in Worte zu fassen und niederzuschreiben. Direkt vor mir waren Dutzende Fußballschuhe in allen, auch grellen Farben über eine ganze Wand verteilt. Auf das Wellblechdach klopfte der Regen. So ungemütlich war es hier gar nicht.


Ein Mix aus neu und gebraucht - original Markenschuhe neben vielen asiatischen Kopien - während die EM in Europa ein Jahr verspätet gerade läuft


Als mein Gehör relative Ruhe vom Dach her vernahm, schoss ich auf und ein netter männlicher Mitmensch meinte gleich zu mir, ja es hat aufgehört zu regnen, nach dem Motto, du kannst jetzt raus. Der Weg führte mich durch dieses Markthallenkonglomerat in Richtung Stadtzentrum, wo ich in meinem bereits bekannten Hostal ein Zimmer für die Nacht fand genauso wie bekannte Gesichter. Es war noch zu früh, um den Rest des frühen Abends in der Herberge zu verbringen, so nahm ich Kurs auf mein Stammcafe, wo ich immer die Promotion Schokoladekuchen mit Süßsaftgelee bekomme, plus Kaffee. Ursprünglich bin ich einmal auf diese Werbung am Gehsteig hineingefallen, und seitdem wurde es der Brauch am späten Nachmittag, Abend dorthin zu schauen.


Die zwei Bediensteten die sich immer, genauso wie ich freuen, wenn wir uns treffen, meinten, heute gäbe es leider keine Sachertorte al al Antigua Guatemala Style. So traurig war ich darüber gar nicht, denn ich hatte meinen Kaffee heute bereits gehabt, so bestellte ich ein kleines Gallo Bier. Sehr frisch war der Gerstensaft, eisgekühlt, er schmeckte lecker. Vorher aber stieg ich wie meistens einmal die enge Wendeltreppe vom Parterre des Hotelchens hinauf auf die Dachterrasse um das Wetter und die Stadt in Augenschein zu nehmen. Wolkenverhangen, dämmrig, kurz vor Regen, sehr typisches Regenzeitwetter hier im Hochland. Und jetzt abends langsam etwas kühl werdend. Ich stiefelte wieder hinunter zu meinem runden Tisch mit weißem Tuch und meinen Utensilien.


Kein Corona Bier hier - nein, ein Gallo - im T-Konte


Ich war also gut in Antigua angekommen. Nachdem ich vor 4 Wochen bereits eine Woche in der Stadt verbracht hatte, war ich jetzt beim zweiten Besuch schon etwas mehr als ein Ersterschnupperer der alten Metropole des Mayareiches von Guatemala, die im 18.Jahrhundert so schwer gerüttelt wurde von einem Megaerdbeben. Riesenmauerstücke von kolonialen Gebäuden liegen heute noch am Boden herum und lassen die Massivität des Bebens von damals erahnen.







 
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