- 5. Juli 2021
- 9 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Juli 2021
... auf spanisch 'vuelta', wörtlich, der Umkehrpunkt, der Rundgang, die Rückkehr
Nun, der Grund meiner Reise von Panajachel nach Antigua war eigentlich einzig und allein, dass ich mein neues Handy das schlecht funktionierte, in Antigua reklamieren wollte, natürlich genau dort wo ich es vor 4 Wochen erstanden hatte.
Ich dachte mir ursprünglich, ein weiter Weg plus dann noch mindestens ein, besser zwei Übernachtungen machen das Ganze zu einem etwas teuren Abenteuer. Außerdem musste ich damit rechnen, dass sich diese Handyprobleme deshalb auch nicht lösten, denn ich war davon überzeugt ein sogenanntes 'Montagshandy' erwischt zu haben, das einfach obwohl neu einen 'Hau' hat.
Andererseits mag ich Antigua gern und für Reisen bin ich eigentlich meistens zu haben. Schon in meiner Studienzeit und frühen Lehrerzeiten hockte ich stundenlang über Landkarten um Wander- und Mountainbikerouten auszuhecken, dabei konnte mir nie langweilig werden. Heute scrollt man auf diesen kleinen Smartphones herum und macht sich das Augenlicht damit auf Dauer kaputt, ich frage mich: Ist das Fortschritt?
Am Vortag fiel mir an einer Altstadtecke eine kleine Bücherei mit Caferestaurant auf, da wollte ich jetzt in der Früh hinein, hauptsächlich wegen einer guten Auswahl an Reiseführern, vielfach vom Mainstream Marktführer Lonely Planet. Gut, aber auch um einen Morgenkaffee zu trinken. Ganz toll sind diese Innenhöfe, lassen jede Menge Tageslicht hinein, man hatte früher einfach praktisch gedacht und mit Hausverstand gebaut, was mir sehr gefällt, das sind wichtige Werte.
Und los geht's! Ja, aber womit?!:-)
Während mein Cappuchino zubereitet wurde zupfte ich aus dem Bücherregal einen Centro America Reiseführer, einen über Guatemala und einen von El Salvador mit Nicaragua, alle drei von Lonely Planet. Noch ist der Planet ja nicht lonley, er wird es auch so schnell nicht sein, er lebt.
Was ich bei dieser Buchmarke immer schon richtig klasse fand, sind die 'Maps' auf den ersten Seiten, die das Gebiet übersichtlich in farbiger Landkarte zeigen und die sogenannten touristischen Highlights sind herausgezoomt. Dadurch hat man erstens eine geografische Orientierung und weiß aber auch wo es die meisten Touristen hinverschlägt, wenn sie dem Rat folgen und dem Reiseführer glauben. In der Folge gibt es im Führerbuch dann noch ein paar spärliche Farbseiten mit Fotos und massiv Informationen in meist sehr kleiner Schrift. Das spricht mich dann kaum mehr an.
In solchen Glücksfällen für mich wo eine Bücherei und ein Cafe eine Synergie ergeben, liegen dann meist mehrere Bücher auf meinem, ruhig auch mal, Couchtisch. Das erste Büchereicafe dieser Art entdeckte ich 2008 sehr weit im Süden Patagoniens in Puerto Natales glaub ich war es, nicht Punta Arenas. Ich war begeistert, hielt mich lange und immer wieder dort auf, es war sehr geräumig eingerichtet und auch eine gute Wetterflucht vor oft Wind und kühlen, nasskalten Temperaturen.
In jüngerer Vergangenheit war das in Puerto Escondido das Cafechoc. Es wurde mein Stammcafe diesen Frühling. Da man aber nicht mehr als ein Buch auf einmal begutachten kann, und davon genau eine Seite, dienen dann die anderen zurechtgelegten Bücher als Stapel die das Handy schön schräg aufgestellt halten.
El Salvador und Nicaragua farbig hervorgehoben
Diesen Morgen war ich etwas ungeordnet mit meinen Gedanken im Kopf, woran das genau lag, weiß ich nicht. Man steht auf und ist in einer Stimmung und drauf wie man eben drauf ist. Oftmals träume ich und diese Morgenträume begleiten mich die ersten Minuten, es können aber manchmal Stunden des neuen Tages sein. Jede Nacht ist wie ein Todeserlebnis. Jedes Aufwachen ist ein neues Geschenk an dich, das dir sagt: 'Du bist der schönste Tag meines Lebens!' Das ist zumindestens der Slogan von Matthias Langwasser.
Ich finde es gut den Tag so zu begrüßen und wertzuschätzen, auch wenn vielleicht noch der Morgenmuffel in den Knochen stecken mag.
Insgesamt wollte ich mich diesmal aber nicht überlange in dem Büchereicafe aufhalten, immerhin hatte ich eine mittellange Rückreise zum Lago Atitlan vor mir. Ich dachte mir, jetzt mache ich auf der Toilette noch mein Haar zurecht, nachdem mein Einzelzimmerchen des Hostals keinen Spiegel im Minibad hatte. Das geräumige WC des Cafes war sauber, was mich freute, dann musste ich aber laut lachen: Auch hier kein Spiegel über dem Waschbecken!
Ehrlich gesagt ist das mit den in den Spiegel schauen nicht mehr als eine schlechte Gewohnheit. Wenn ich länger auf Outdoor Erlebnissen unterwegs bin wird das 'Ohne Spiegel sein' zur Gewohnheit, auch bei den Mitreisenden, es wird selbstverständlich und man merkt wie gut der Seele tut, wenn man die Eitelkeit beiseite lässt und Äußerlichkeiten unwichtig werden.
Ich räumte die Mittelamerika- Führer wieder zurück ins Regal, wobei mir andere von der Transibirischen Eisenbahn und einer von Pakistan ins Auge stachen. Zurück im Hostal packte ich meinen kleinen Daypack fertig, machte mein Gesicht an Hand meines spiegelnden Handys zurecht, eine Technik die ich oft genug bei afrikansichen Frauen beobachtet habe. Rück- und Seitenspiegel von Autos und Motorrädern gehen genauso, wie auch etwa ein Schiefer eines Spiegels, ebenfalls in Afrika gesehn.
Das Neue an meiner ausgedachten Rückreiseroute sollte ein Besuch in Tecpan werden, etwas außerhalb der Stadt gibt es Iximche, eine archäologische Maya-Ruine. Der erste Bus hatte wieder Höllenmusik an Bord, ausweichen unmöglich, nur Ohrstöpsel von Oropax (Frieden für die Ohren) hätten das wohl etwas gelindert, doch eigentlich möcht' ich mir meine Sinne nicht künstlich vernebeln.
Busstart in Antigua
Endlich konnte ich in Chimaltenango aus dem Lärmmobil. Zwei Bananen schnappte ich mir noch im Vorbeigehn auf und landete auch schon im Anschlussbus, neues Vehikel, neues Glück. Und wirklich, nachdem mein zugedröhnter Gehörsinn wieder etwas regeneriert war, merkte ich: In diesem Bus herrscht ein ganz anderes Milieu, wenig Gäste, gedimmte Musik, wie angenehm, mein Reisender!
Dass diese Fahrt eine besondere werden sollte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht, wie auch, sie begann ja erst. Der Chauffeur war sehr energisch mit dem Steuer, dem langen Ganghebel und den Fußpedalen. Seinen Fahrstil konnte man sehr bald auch als aggressiv bezeichnen. Wir durchbrausten die Schnellstraße mit vollem Karacho. Wollten Fahrgäste raus oder rein, bei Stopps mussten sie sich sputen, sonst war der Koloss bereits wieder weg. Sogar der Schaffnerjunge war sich nicht immer sicher, ob er noch mitkonnte, wenn er gerade vom Dach kletterte, wo er Gepäck holte. Eine Militärrazzia passierten wir ungeschoren, das war mir auch recht, dabei kann nämlich nie Nützliches für uns herauskommen.
Ich ging davon aus, dass der Bus im Zentrum von Tecpan halten würde, war mir dann aber nicht mehr so sicher und hantelte mich im Bereich der Stadt den Gang nach vorne. Das Tempo war hoch. Ich hatte ja auch bis dorthin beim Schaffner bezahlt. Als ich bei ihm noch einmal nachhakte, meinte er, Tecpan ist bereits vorbei. Beim nächstmöglichen Stopp lassen wir dich raus. Das bedeutet, ich musste in die andere Richtung wieder zurück. Das Wetter schaute nicht freundlich aus und ich beschloss im Bus zu bleiben bis Los Encuentros, sein Endziel war ja sogar Xela, also Quetzaltenango, vielleicht noch 100 km weit entfernt.
Ich zahlte also drauf und platzierte mich wieder hinten in meiner Sitzbank. Andere Fahrgäste waren besorgt um mich, weil ich Tecpan verpasst hatte und wollten mir mit allen möglichen Optionen helfen, das fand ich rührend. Ich aber meinte, alles gut ich fahre jetzt bis Los Encuentros, kein Problem. Jetzt wurde die Route noch kurvenreicher, zwar immer zweispurig, aber auf und ab und eben ständig unübersichtliche und scharfe Kurven, eine Achterbahnfahrt.
Das schien dem Fahrer noch mehr zu gefallen und er fuhr noch waghalsiger. Meine Füße hielt ich gespreizt am Boden, wie eine Krake, die Hände weit auseinander fest an an die Reling der 'Blue Bird' Sitzbank geklammert, wie ein Greifaffe. Zugegeben, das war die beste Stabilisation, trotzdem schob es mich hin und her auf der Kunsstoffbank.
Im Chickenbus der Rally fuhr
Ich kam mir vor wie der Copilot eines Rallyfahrers, aber auch die anderen Fahrgäste drifteten hin und her. Im Bus befanden sich durchwegs junge Leute, wer nicht fit war, hätte sich glatt schon auch ohne Unfall im Bus verletzt. Weder Fahrer noch Schaffner machten Anstalten um Fahrgäste zu buhlen oder welche rücksichtsvoll aussteigen zu lassen.
Ich weiß nicht in welcher Mission sie unterwegs waren, aber Profitgedanken hatten sie heute wenig. Die Strecke zieht sich in einer Höhe zwischen 2000 und 2600 m dahin, Luft hatten wir genügend auf dem Horrortrip, aber eben auch Angst, es konnte jeder Zeit ein Crash passieren, alle Zutaten dafür waren vorhanden. Ich überlegte nach vorne zu gehen um den Fahrer zu ermahnen, aber in Wirklichkeit hätte ich es nicht geschafft, man musste sich im Sitz festklammern wie ein Gecko.
Mein Rücknachbar war interessiert an Konversation, auch er entsetzte sich über die völlig gefährliche Raserei. Ich fragte ihn noch, ob er glaube, dass der Raser in Los Encuentros Halt machen würde, er erwiderte, wohl nicht. Da ich meinen neuen Zielort nicht wieder verpassen wollte griff ich mich so sicher wie möglich durch den Gang nach vorne. Ich hab noch wenige Crews gesehen denen das Wohl der Fahrgäste so egal war, wie hier. Ich stolperte hinaus und teilte dem Schaffner noch mit, was ich eigentlich dem Fahrer stecken wollte: 'Ihr fährt völlig verantwortungslos und gefährlich, das ist Wahnsinn!' Er nickte nur mit seinem Kopf.
Ich wusste nicht was er damit genau meinte. Entweder, ist mir egal, oder, ja, ich weiß, aber ich kann selbst nichts machen. Er musste teilweise ja selbst zusehen, dass er immer im Bus verblieb. Ich dankte allen meinen Engeln gesund ausgestiegen zu sein und betete für die restlichen Fahrgäste bei ihrer weiteren Rally. Ich schlug einen Seitenweg ein und ging einfach los, weg von der Hauptstraße, weg vom Lärm. Mein Kopf voll Noradrenalin und Schock, mein Körper völlig mitgenommen. Ich wollte und musste wieder in die Ruhe kommen, das konnte ich nur mit Gehen erreichen. Bald hörte ich die Straße fast nicht mehr, ganz langsam kam ich wieder richtig zu mir. Das Ganze war so gefährlich gewesen!
Unterhalb meines Weges waren zottelige Schafe, sauberere und dreckigerere, helle und dunklere. Drei Frauen, ältere, hüteten sie. Es mögen Schwestern gewesen, absolut indigen, mit kleinen Hüten auf ihren gezopften Haaren. Ich fühlte mich archaisch zurückversetzt. So ähnlich musste das Leben hier 50 oder 100 Jahre früher ausgesehen haben, und Hunderte Jahre vorher genauso. Als ich durch meine neue Umgebung etwas heruntergekommen war in meinem Kopf und mein Körper Ablenkung brauchte, schnappte ich mir 'papas fritas' am Weg. Eine Brettbank half mir mich zu platzieren und die Kartoffelstäbchen genüsslich zu verzehren. Das tat gut, sie waren frisch zubereitet und warm.
Noch das ein oder andere Zuckerl an Kinder loswerdend schlenderte ich zurück in Richtung Hauptverkehrsweg, überquerte diesen, kam zur Markthalle und gegenüber sogar zur Kirche des Ortes. Meine Neugierde zog mich hinein ins Gotteshaus, sehr hell innen, zur Abwechslung das Gestühl mal aus hellerem Holz. Ein paar Frauen waren auf ihren Knien betend, ja sogar klagend. Einmal schlurften sie nach vorne zum Altar, einmal nach hinten, langsam, klar, das geht schwer schnell.
Mich erinnerte das an Tibet und die Kora die um den den heiligen Berg Kailash gemacht wird mit ständigem Hinknien, Hinfallen und Beten bis er umrundet ist. Als formschöner, wuchtiger Berg wird er von Bergsteigern auch sehr angebeten, aber eine Besteigung ist verboten. Tibeter, Buddhisten, Hindus und manche Touristen praktizieren die heilige Kora. Hier sind es Christen die sich selbstgewollt erniedrigen vor Höherem. Die ritualen Bewegungen wurden in der Kirche von Los Encuentros von Seufzen und Klagen begleitet.
Für mich in der Indiokultur neu. Ein Mädchen saß in der hintersten, letzten Stuhlbank und war so mit ihrem Handy beschäftigt, dass nicht einmal ich als Gringo ihre Aufmerksamkeit erregen konnte. Entweder hatte sie sich der Ruhe wegen absichtlich in die Kirche begeben um relativ ungestört zu sein, oder aber eine der Frauen die klagebetete war ihre Mutter, Tante oder Großmutter. Noch anderes ist natürlich auch möglich. Ich beschreibe es nur so wie es auf mich gewirkt hat, ich habe sie nicht angesprochen.
Bei dieser Vermischung von alten Maya- Traditionen und christlichen Sitten konnte mich das Ritual nicht ganz verwundern, trotzdem, ich war gebannt. Und klar, die Klagerei ist nicht wirklich stimmungsfördernd auf Dauer, weshalb ich das Gotteshaus nach diesem Eindruck wieder verließ. Nicht jedoch rückwärts trieb es mich hinaus, nein vorwärts, der Nase nach, wie immer. So sind meine Sinne am gewohntesten und besten ausgerichtet. Auch machte ich keine Kniebeuge vor dem Verlassen des religiösen Zentrums, meine Mutter möge es mir verzeihen.
Ich war überrascht von diesem Los Encuentros abseits des quirligen Verkehrsgeschehens, ein völlig normales Dorf, wunderbar. Der einzige Bus der vor der Einstiegstür einen Ständer mit Temperaturmessgerät positioniert hatte und einen vermummten Typen mit der Handgelpulle, war der den ich jetzt brauchte , nach Solola. Mir war das nicht neu, kannte diesen Umstand bereits von vergangener Woche. Ich beobachtete das Geschehen rund um den Bus aus verschiedenen Perspektiven sehr genau und schlüpfte irgendwann in der Tat ohne beide Zwangsbeglückungen bei der Fahrertür hinein.
Dies gelang mir bereits letzte Woche mit Glück, ich war froh. Im Leerlauf ließ der 'chofer' den langen, gelben Schulbus die Schnellstraße hinunterrollen. Ich war wenig amüsiert davon, die Bremsen quietschten sowieso schon. Bei der Einfahrtsstraße nach Solola wechselte er Gott sei Dank auf den Motor um, es ging mir besser damit. Wieder stieg ich am Ortsanfang aus und bremste meinen Körper langsam hinab ins Zentrum. In einer Seitenstraße schoss mir ein kleines Cafe ins Auge, in dem Hocker und Tischchen aufgestellt waren, die sich als gemütlich genug zum Schreiben herausstellen sollten.
Eine der beiden Frauen im Service hinkte ziemlich, weil sie einen ordentlich kürzeren Fuß hatte. Auch mein rechtes Bein ist gut 1cm kürzer als das linke. Das bemerkt man als Außenstehender aber nur wenn man's weiß. Nach einigen Seiten Niederschrift verließ ich das für mich neue Cafe und wechselte ins Zentrum um noch einmal Platz in einer kleinen Pizzeria zu nehmen. Dort zog ich mich wärmer an, denn kühler Nebel umhüllte Solola inzwischen.
Von der Bergstraße aus hinunter nach Panajachel
Hinunter nach Panajachel wurde mir im letzten Chickenbus des Tages wieder warm. Unten angekommen öffnete ich den Reißverschluss meiner Fleecejacke und war willkommen geheißen von meiner vorübergehenden Heimat am See. In der angenehm lauen Luft spazierte ich zu meiner Wohnung und war somit wieder am Ausgangspunkt angekommen, gesund und mit diversen Erlebnissen angereichert.
Ida y vuelta, Hin- und Rückreise waren somit abgeschlossen, genauso wie der Juni Anno Domini 2021.